Evas Auge
sicherheitshalber mit einer Skistock im Loch herumstochern, neben dem Arbeitstisch standen gleich mehrere. Einige waren ziemlich alt und hatten zerbrochene Schneeteller, andere waren aus Glasfaser mit kleinen weißen Plastikschilden. Und dann kam Eva sich plötzlich sehr dumm vor und überlegte, daß das Geld natürlich nicht unten im Dreck vergraben sei, es mußte schließlich für alles Grenzen geben. Einen Moment lang starrte sie ratlos vor sich hin. Unter dem Arbeitstisch standen ein alter fleckiger Plastikeimer, zwei Flaschen Terpentin – und ein Farbeimer. Der Eimer war groß, enthielt vielleicht zehn Liter. Sie ging zum Tisch, ging in die Hocke und las: Deckfarbe. Almhüttenbraun. Sie schüttelte den Eimer. Hörte, daß sich unten im Eimer etwas bewegte. Sie schob die Nägel unter den Deckel und versuchte, ihn hochzudrücken, aber der bewegte sich nicht. Dann nahm sie von der Platte über dem Tisch einen Schraubenzieher und stemmte ihn unter den Deckelrand. Flache Pakete füllten den Eimer. Pakete, die in Alufolie gewickelt waren, sie sahen aus wie Butterbrotpakete. Eva keuchte auf und klemmte sich die Taschenlampe unters Kinn, nahm ein Paket aus dem Eimer und riß die Folie ab. Geldscheine. Sie hatte das Geld gefunden!
Und Eva fiel auf den Hintern und umklammerte dabei das Geldpaket. Maja hatte genau gedacht, wie sie selber, hatte das Geld in einem leeren Farbeimer versteckt! Sie schlug für einen Moment die Hände vors Gesicht, von allem überwältigt, von dem Geld, von dem niemand wußte, das niemandem gehörte, eine schwindelnde Summe, die jetzt in ihrem Schoß lag. Eine turmhohe Lebensversicherung. Sie nahm auch die übrigen Pakete aus dem Eimer, es waren insgesamt elf. Sie waren dick, fast so dick wie vier oder fünf Scheiben Brot, überlegte sie; sie legte sie auf dem Boden aufeinander, und am Ende hatte sie einen ziemlichen Stapel errichtet. Jetzt war ihr nicht mehr kalt. Das Blut schäumte in ihren Adern, und sie keuchte wie nach einem langen Lauf. Sie tastete nach den Reißverschlüssen an ihrer Jacke, um das Geld dort zu verstauen, es gab schließlich viele Taschen. Zwei Pakete in jede Tasche, den Rest in die Hosentaschen, das würde wohl gehen. Aber sie mußte danach die Reißverschlüsse sorgfältig zuziehen, konnte nicht riskieren, unterwegs das Geld zu verlieren. Sie wollte jetzt zum Auto zurücklaufen, auf irgendeine Weise mußte sie die viele ungewohnte Energie loswerden, die sich jetzt in ihrem Körper ausbreitete. Ein Lauf, ein wilder Lauf durch das Heidekraut, das war jetzt genau das richtige. Und sie stand auf. Sie stand auf, um die Taschen besser erreichen zu können, und in diesem Moment hörte sie ein Geräusch. Es war ein vertrautes Geräusch, ein Geräusch, das sie wirklich jeden Tag hörte, und das sie deshalb auch sofort erkannte, und deshalb setzte ihr Herz einen Schlag aus, es blieb mit einem schmerzhaften Stich stehen. Sie hörte ein Auto.
Das Auto näherte sich geräuschvoll der Hütte, sie hörte, daß geschaltet wurde, hörte wie das starrgefrorene Heidekraut gegen die Kotflügel schlug. Das scharfe Licht der Scheinwerfer fand seinen Weg durch die Ritzen in der Wand, Eva stand mit den Geldpaketen in der Hand da und war zur Salzsäule erstarrt, in ihrem Kopf gab es keinen einzigen Gedanken mehr, alle Gedanken schienen wie weggeweht zu sein, Eva empfand nur noch blinde Panik, und ihr Körper übernahm die Führung, er handelte, die Gedanken wurden hinterher geschleift, schienen sich zu wundern, als sie das Geld wieder in den Eimer fallen ließ, den Deckel schloß, den Eimer hochhob und sich über den leise knackenden Boden schlich, während draußen noch immer der Motor zu hören war. Sie öffnete die Klotür, schob eine Isoporplatte beiseite und ließ den Eimer ins Loch fallen. Dann schaltete sie die Taschenlampe aus.
Eine Autotür fiel ins Schloß. Eva hörte rasche Schritte, und bald darauf klirrten Schlüssel im Schloß. Es war mitten in der Nacht, und jemand wollte die Tür zu Majas Haus aufschließen! Das kann niemand mit ehrlichen Absichten sein, dachte Eva, und sie hörte, wie die rostigen Türangeln aufkreischten, als jemand mit schweren Schritten den kurzen Flur betrat. In wenigen Sekunden würde der Mensch dort draußen das offene Fenster entdecken. Er würde das ganze Haus durchsuchen. Eva dachte nicht mehr, sie stand da wie auf einem brennenden Schiff, und in diesem Moment war ihr das eiskalte, schäumende Meer lieber. Entschlossen setzte sie einen Fuß ins Klo.
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