Evas Auge
Motorhaube durchaus kein Standardmodell stecke. Die beiden anderen wichen aus. Elmer winkte, jetzt fuhr er langsam auf die offene Schranke zu. Eva hatte Glück. Er blinkte rechts und wollte an ihr vorbei, wenn sie schnell genug war, konnte sie sich an ihn anhängen. Er trug jetzt eine Sonnenbrille. Als Eva anfuhr, schaute er in den Spiegel. Sie fühlte sich unbehaglich, versuchte, höflichen Abstand zu bewahren, und fuhr ziemlich langsam hinter ihm her durch die verkehrsreiche Hauptstraße, die aus der Stadt herausführte. Er fuhr am Krankenhaus und am Bestattungsunternehmen vorbei, und nach einer Weile wechselte er auf die rechte Spur, fuhr angemessen schnell und ganz korrekt am Videoladen und dem Computerkaufhaus vorbei. Sie näherten sich jetzt der Rosenkrantzgate, er schaute noch einmal in den Spiegel und blinkte plötzlich nach rechts. Sie mußte weiterfahren, konnte aber im Rückspiegel sehen, daß er bei einem grünen Haus anhielt, vor dem ersten Eingang. Ein kleiner Junge kam angelaufen. Vielleicht sein Sohn. Die beiden verschwanden im Haus.
Also wohnte er in dem grünen Haus in der Rosenkrantzgate. Vielleicht hatte er einen Sohn von fünf oder sechs Jahren. Wie Emma, überlegte Eva.
Konnte er denn nach allem, was passiert war, weiterhin den Papa spielen? Abends den Kleinen auf den Schoß nehmen und ihm etwas vorsingen? Ihm beim Zähneputzen helfen? Mit denselben Händen, die ihn zum Mörder gemacht hatten? Eva konnte erst bei der Trabrennbahn wenden, sie bog nach links ab, legte eine freche scharfe Drehung hin und fuhr wieder zurück. Jetzt lag das grüne Haus auf ihrer linken Seite. Vor dem Haus stand eine Frau mit einem Wäschekorb in der Hand. Gebleichte, hochtoupierte Haare. Affektierte Kuh, typisch für ihn, dachte Eva. Jetzt hatte sie ihn. Und bald, ziemlich bald, würde sie auch zwei Millionen haben.
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E s war neun Uhr abends, als sie sich wieder ins Auto setzte. Nach zweieinhalb Stunden hatte sie zehn Zigaretten geraucht, der gelbe Laden aber war nicht zu sehen. Ihre Beine wurden steif, und ihr Rücken tat weh. Ihr Plan erschien ihr plötzlich als hirnrissige Unternehmung. Draußen war es stockdunkel, und sie hatte Veggli und das Café mit dem großen Troll und einige Dörfer, deren Namen sie wiedererkannt hatte, schon hinter sich. Der Laden müßte auf der linken Seite liegen und beleuchtet sein, wie Läden das nun einmal waren, die ganze Nacht hellerleuchtet. Aber alles war schwarz, nicht ein Haus zu sehen, kein Verkehr. Auf beiden Straßenseiten ragte der Wald wie eine schwarze Mauer auf, sie hatte das Gefühl, durch eine tiefe Schlucht zu fahren. Das Radio brachte Musik, und die ging ihr nun auf die Nerven. Scheißladen!
Sie fuhr an den Straßenrand und hielt an. Steckte sich noch eine Zigarette an und dachte nach. Es war fast Mitternacht, und sie war müde. Vielleicht würde sie das Haus ja nicht finden, vielleicht hatte sie sich geirrt. Es war so lange her, fünfundzwanzig Jahre, damals waren sie doch die puren Rotzgören gewesen. Maja hatte die Bande angeführt, die anderen waren wie Schafe hinterhergetrottet, Eva, Hanne, Ina und Else Gro. Alte grüne Schlafsäcke und Konservendosen. Drehtabak und Bier. Vielleicht war der gelbe Laden abgerissen worden, vielleicht stand dort jetzt ein riesiges Einkaufszentrum, überlegte Eva, aber vielleicht wurden so tief im Wald keine Einkaufszentren gebaut. Sie mußte einfach weiterfahren, sie gab sich noch zwanzig Minuten, wenn sie dann nicht fündig würde, wollte sie umkehren. Oder im Auto übernachten und bei Tageslicht weitersuchen. Aber die Vorstellung, auf dem Rücksitz zu schlafen, wirkte nicht sonderlich verlockend, sie wußte nicht einmal, ob sie den Mut dazu aufbringen würde, hier in dieser Einöde. Sie fuhr wieder los und drückte die Zigarette im mittlerweise randvollen Aschenbecher aus. Schaute noch einmal auf die Uhr und gab Gas. Die Straße führte über eine Brücke, glaubte sie, dort hatte es Schafe und Ziegen gegeben, sie waren im Zickzack gefahren, über eine Straße mit scharfen Haarnadelkurven. Im Winter wurde der Schnee nur bis zur Herberge geräumt, und Maja mußte das letzte Stück auf Skiern zurücklegen. Gut, daß es noch nicht geschneit hatte, aber vielleicht lag da oben ja doch schon Schnee, vielleicht würde Eva das letzte Stück durch den Schnee stapfen müssen, daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Sie war nicht gerade ein Sportsmensch, und jetzt kam sie sich blöd vor. Nahm sich noch eine Zigarette, jetzt waren die
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