Evas Auge
Sie stützte sich auf die Kante, stellte fest, daß für das andere Bein kein Platz mehr war, zog das erste wieder heraus, preßte die Beine aneinander und schob sie gleichzeitig ins Loch, ließ sich im finsteren Loch nach unten rutschen und bewegte verzweifelt die Füße, als sie nach dem Boden suchte, und endlich war der da, eine Art weicher Masse, in der sie ein Stück weit einsank. Die Schritte bewegten sich noch immer durch das Haus, als Eva nach der Taschenlampe griff und sie vor ihre Füße fallen ließ. Dann ging sie in die Hocke, wand sich, um ihre Schultern durch das Loch zu bugsieren, und tastete in der Dunkelheit nach der Platte, um das Loch wieder zu verdecken, sie erwischte sie mit den Fingerspitzen und zog sie vorsichtig über ihren Kopf. Dann stand sie in der tiefen Finsternis da, nirgendwo war auch nur eine Spur von Licht zu sehen, sie sank noch ein wenig tiefer ein, mochte nicht mehr hocken und setzte sich auf den Hintern. Auch mit dem sank sie ein. Sie legte die Stirn auf die Knie. Vorhin, beim ersten Leuchten, hatte es nicht so schlimm gerochen, aber jetzt brach der Gestank über sie herein, als sie den Kloinhalt mit ihrem eigenen Körper anwärmte. So saß sie da, und sie atmete so vorsichtig, wie sie konnte, sie preßte sich die Nase auf die Knie, die Taschenlampe war zur Seite gerollt und nicht mehr in Reichweite. Der Eimer mit den zwei Millionen stand zwischen ihren Beinen. In der Hütte knallte eine Tür, und sie hörte ein wildes Fluchen. Es war ein Mann, und dieser Mann war wütend.
Sie mußte durch den Mund atmen. Nicht einen Moment lang durfte sie die Nase benutzen. Eva hatte Angst, in Ohnmacht zu fallen. Sie versuchte zu hören, was der Mann da oben machte, es war klar, daß er etwas suchte. Er gab sich auch keine Mühe, leise zu sein, vielleicht hat er sogar das Licht angemacht, dachte sie, und dann fiel ihr plötzlich ihr Rucksack ein, der noch immer im Wohnzimmer auf dem Boden stand. Bei diesem Gedanken hätte sie sich fast erbrochen. Konnte der Mann den Schein ihrer Taschenlampe gesehen haben? Das glaubte sie nicht. Aber der Rucksack – würde der ihm verraten, daß sie noch immer hier war? Würde er das Haus auf den Kopf stellen? Vielleicht machte er das ja gerade, und dann konnte er jeden Moment in den Schuppen kommen und die Tür zum Klo aufreißen. Aber würde er die Klodeckel entfernen und in die Löcher leuchten? Eva preßte die Nase gegen ihre Knie und atmete vorsichtig durch den Mund. Zeitweise war es still im Haus, dann brach der Lärm wieder los. Nach einigen Minuten hörte sie Schritte, die sich näherten, der Mann ging jetzt durch den Flur, sie hörte, daß etwas umkippte und auf den Boden fiel, dann fluchte der Mann wieder. Dann stand er im Geräteschuppen. Wieder war es still. Sie stellte sich vor, daß er in diesem Moment die Klotür anstarrte, und daß er dasselbe dachte, was jeder Mensch jetzt denken würde, nämlich, daß sich dort vielleicht jemand versteckte. Er ging noch ein paar Schritte, Eva duckte sich und wartete, hörte, wie die Tür beim Öffnen quietschte. Für einige Sekunden blieb die Welt stehen, Eva war eine einzige zitternde Masse aus Angst und heißem Blut, das durch ihren Körper gepumpt wurde, und dann hielt plötzlich alles inne, ihr Atem, ihr Herz, ihr Blut, das zu einem dicken Brei erstarrt war. Vielleicht stand er nur einen Meter von ihr entfernt, vielleicht konnte er ihren Atem hören, und deshalb atmete sie nicht mehr und spürte, wie ihre Lunge zu bersten drohte. Jede Sekunde wurde zur Ewigkeit. Dann hörte sie wieder Schritte, er ging zurück und stieß gegen den Tisch. Eva überlegte sich plötzlich, daß er vielleicht aufs Klo müßte, wenn er lange suchte, würde er vielleicht auch aufs Klo müssen, und dann würde er wiederkommen, würde die eine Isoporplatte wegschieben und ins Loch pissen. Und dann würde er entweder ihre Füße treffen, wenn er sich für das Loch neben der Wand entschied, oder ihren Kopf, wenn er das andere nähme. Und wenn er Licht anmachte, würde er sehen, daß unten im Dunkeln jemand saß, mit einem Farbeimer zwischen den Beinen. Sie begriff einfach nicht, wer er wohl sein mochte. Maja hatte nicht die ganze Wahrheit gesagt, irgend etwas hatte sie verschwiegen, Maja hatte Eva in diese irrwitzige Lage gebracht, wie schon tausendmal zuvor, Maja hatte ihr diese Möglichkeit gezeigt, zu Geld zu kommen, zu Unmengen von Geld, obwohl Eva sich nie soviel gewünscht hatte, sie wäre mit genug Geld für Lebensmittel und
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