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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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der Hütte, ein ziemlich heruntergekommenes Auto, ziemlich verlassen. Seltsam. Ob sich doch jemand in der Hütte aufhielt? Der Mann schlich hinüber, war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er allein war, und er versuchte, durch das Seitenfenster in den Wagen zu schauen. Die Tür war nicht abgeschlossen, das machte die Sache noch merkwürdiger. Ansonsten war das Auto leer, weder auf den Sitzen noch im Fenster lagen irgendwelche Gegenstände. Er richtete sich wieder auf und blickte sich um. Ihm kam ein seltsamer Gedanke, und er ging zu seinem eigenen Wagen zurück und setzte sich hinein. Dort saß er dann und rauchte nachdenklich eine Zigarette. Als sie bis zum Filter abgeraucht war, zerdrückte er sie im Aschenbecher und machte sich an die nächste.
    Eva merkte plötzlich, wie erschöpft sie war. Sie konnte die Füße fast nicht mehr heben, und sie blieb immer wieder im Heidekraut und an Grasbüscheln hängen. Der Eimer schien für ihren müden Arm eine Tonne zu wiegen, aber der Daunenanzug hatte keine Taschen, und sie wollte das Geld nicht zu ihren verdreckten Kleidern in den Rucksack stecken. Es könnte doch den Geruch übernehmen, man konnte nie wissen. Sie hatte jetzt den Weg erreicht, und das Gehen fiel ihr leichter. Sie ging so schnell sie konnte, hatte aber das Gefühl, ihre Füße hinter sich her zu schleifen. Sie spürte, wie sie die Ferse aufsetzte, mehr aber nicht, der ganze vordere Fußteil war taub. Vor ihr lag die restlos öde Hochebene, sie hielt Ausschau nach dem Haus, in dem das Licht gebrannt hatte, aber dort war jetzt alles dunkel. Beim Gedanken an die lange Autofahrt, die vor ihr lag, verlor sie fast den Mut, aber wo sie schon so weit gekommen war, würde sie es auch noch bis nach Hause schaffen, und vielleicht fand sie ja unterwegs eine offene Tankstelle. Eine, die Würstchen und Hamburger verkaufte, Cola und Schokolade, oder vielleicht Kopenhagener, immer zwei Stück, in Plastikfolie. Und heißen Kaffee. Sie hatte einen schrecklichen Hunger. Und als sie erst angefangen hatte, an Essen zu denken, konnte sie nicht mehr damit aufhören. Aber konnte sie denn überhaupt irgendwo hingehen, vermutlich stank sie schlimmer, als ihr selber bewußt war. Und was sollten die Leute denken, wenn sie ins warme, helle Lokal kam und dabei nach Scheiße stank? Jetzt konnte sie den kleinen Weg sehen, der zum See führte, sie nahm den Eimer in die linke Hand und die Taschenlampe in die rechte. Alles schien einsam und verlassen zu sein, aber sie wollte die Lampe doch erst anschalten, wenn sie neben ihrem Auto stand und losfahren konnte. Je weniger sichtbar sie war, desto besser. Sie hatte sich noch nie so sehr nach ihrem eigenen Auto und nach einer Zigarette gesehnt. Sie hatte die ganze Zeit nicht geraucht, sie hatte nirgendwo Kippen hinterlassen wollen. Sie schniefte ein wenig, aus purer Bewegtheit, weil soviel passiert war, und ging schneller. Sie hatte nur noch wenige Meter vor sich, als etwas geschah, das sie erstarren ließ. Ein gewaltiges Gebrüll zerriß die Stille, und sie stand wie in Scheinwerferlicht gebadet da. Einen Moment lang stand sie stocksteif und wie angenagelt mit Eimer und Taschenlampe da. Dann identifizierte sie diesen Schock aus Licht und Lärm als Auto, das dicht vor ihr anfuhr, und sie stürzte aus dem Licht heraus, über Heidekraut und Grasbüschel, sie lief um ihr Leben und preßte den Eimer an sich. Noch immer konnte sie den Motor hören, solange sie ihn hörte, konnte sie weiterlaufen, wenn der Wagen anhielt, mußte sie sich fallenlassen. Aber so weit kam es nicht. Plötzlich stolperte sie und fiel auf den Bauch, sie hatte sich einen Fuß verrenkt, und Zweige und Grashalme fuhren ihr durchs Gesicht. Sie blieb wie tot liegen. Auch der Motor erstarb, und eine Autotür wurde geöffnet. Sie wußte jetzt Bescheid. Er hatte ihr Auto gefunden und sie dort erwartet. Eigentlich ist es vorbei, dachte sie. Vielleicht hatte er eine Schußwaffe. Vielleicht würde eine Kugel in den Hinterkopf das letzte sein, was sie auf dieser Welt noch wahrnahm. Das Geld bedeutete gar nicht so viel, plötzlich staunte sie über die Strapazen, die sie nur seinetwegen auf sich genommen hatte. Im Grunde war das unglaublich. Das einzige, das etwas bedeutete, waren doch Emma und ihr Vater. Daß man genug Geld für Brot, für Strom und Heizung hatte. Das alles überlegte sie sich, während sie seine Schritte im Heidekraut hörte, sie wußte nicht, ob er sich näherte oder in die falsche Richtung ging. Sie legte den Kopf

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