Evas Auge
Rechnungen zufrieden gewesen, mehr brauchte sie nicht. Sie würde ihm gern alles überlassen, vielleicht könnten sie teilen, überlegte sie, warum sollte er denn einen größeren Anspruch haben als sie selber, sie waren schließlich Jugendfreundinnen gewesen und hatten alles geteilt. Maja hatte sie zu ihrer Erbin ernannt. Jetzt durchwühlte der Mann Schubladen voller Werkzeug und altem Schrott, er hörte sich gewalttätig und wütend an, das Haus würde sicher aussehen wie ein Schlachtfeld, ehe er seine Suche beendete. Eva fragte sich, ob er hier wohl übernachten wollte, vielleicht würde er sich in eines der Betten mit den dicken Winterdecken legen, während sie hier mit tauben Füßen in diesem Scheißhaufen saß, sie konnte sich Kalten Brand einhandeln, wenn sie bis zum Morgen hier sitzen müßte, dann würden Frost und Verzweiflung und Gestank sie umbringen, aber vielleicht war er ein schnöder Dieb, so, wie sie eine Diebin war, und mußte weiter, ehe es hell wurde. Darauf hoffte sie jetzt. Sie hoffte und hoffte, und er lief im Haus herum und suchte und suchte. Sie merkte, daß sie schläfrig wurde, wußte, daß sie nicht einschlafen durfte, glitt aber immer wieder weg, dann war der Gestank nicht mehr so schlimm, oder vielleicht war sie auch restlos betäubt. Es wäre schön gewesen, ein wenig schlafen zu können, ihr kam der Gedanke, daß es vielleicht nicht leicht sein würde, wieder nach oben zu klettern, aus diesem nachgiebigen, sumpfigen Boden würde sie sich nicht abstoßen können, vielleicht würde sie hier ihrem Schicksal überlassen sitzenbleiben müssen und mit zwei Millionen auf dem Schoß umkommen. Vielleicht sollte sie ganz einfach um Hilfe rufen, um endlich aus dem Klo herauszukommen und ihre Klamotten loszuwerden, sollte lieber das ganze Vermögen mit diesem armen Wicht teilen, der da oben herumwühlte und nicht wußte, wo er suchen sollte. Sie überlegte sich das alles, während sie vage registrierte, daß es dort oben still geworden war, vielleicht war er wirklich ins Bett gegangen, vielleicht hatte er sich unter die karierte Decke aufs Sofa gelegt. Vielleicht war er im Keller gewesen und hatte sich eine Flasche Rotwein geholt, die er jetzt auf dem Gasherd erwärmte, vielleicht gab er Zucker hinein, heißer süßer Glühwein, die flauschige Wolldecke und ein Feuerchen im Kamin. Eva spreizte die Finger und merkte, daß auch die steif geworden waren. Langsam schien sie sich zu verschließen, schien Frost und Gestank auszusperren, Augen und Gehirn zu schließen, nur eine winzige Öffnung war noch vorhanden, für den Fall, daß er pinkeln wollte, oder noch weiter suchen, aber diese Öffnung wurde immer kleiner, sie sank in der Dunkelheit immer tiefer, und ein letzter Gedanke huschte durch ihren Kopf: Wie in aller Welt war sie bloß hier gelandet?
Sie hörte einen lauten Knall.
Eva fuhr zusammen. Sie breitete instinktiv die Arme aus und schlug mit dem Ellbogen gegen das halbverfaulte Holz. Vielleicht hatte er das gehört. Die Wände waren dünn, und alles war still. Sie wußte, daß sie die Tür gehört hatte, er stand jetzt vor dem Haus, dicht vor der Klowand, er machte drei, vier Schritte, dann blieb er stehen. Eva wartete und horchte, versuchte zu erraten, was er da machte, sie war jetzt stocksteif, konnte Arme und Beine nicht mehr bewegen. Dann hustete er, und gleich darauf folgte das vertraute Geräusch eines kräftigen Strahls, der den gefrorenen Boden traf. Typisch Mann, dachte sie, Männer waren so faul, daß sie nicht einmal aufs Klo gehen mochten, sondern ihr Gerät einfach durch die Tür steckten, und gerade das hatte sie vermutlich vor der Entdeckung gerettet. Sie hätte vor Erleichterung fast laut gelacht. Draußen strömte und strömte es, es mußte wirklich dringend gewesen sein, vielleicht hatte er im Haus ja Bier getrunken, vielleicht war er fertig und wollte fahren. Seltsam, daß er nicht im Klo nachgesehen hat, aber vielleicht hat er nicht genug Phantasie, überlegte sie, sie dagegen hätte mit dem Skistock im Dreck herumgestochert, wenn sie nicht den Eimer gefunden hätte. Eine Hoffnung, daß alles bald vielleicht vorüber sein würde, stieg in ihr auf, und mit der Hoffnung stellten sich auch Frost und Steifheit wieder ein, zusammen mit dem inzwischen unerträglichen Gestank. Der Mann ging wieder ins Haus. Wie spät es wohl sein mochte, wielange habe ich geschlafen, fragte sie sich, und sie gab sich alle Mühe, um ruhig zu atmen. Wieder hörte sie allerlei Geräusche, Türen,
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