Evas Auge
aber vielleicht fand sie hier im Haus Kleider zum Wechseln. Sie kämpfte sich wieder auf die Beine und ging in das eine Schlafzimmer. Suchte im Licht der Taschenlampe und nahm ein Kleidungsstück nach dem anderen aus der Kommode, sie fand Unterwäsche, Socken, ein altes Unterhemd und einen Pullover, nur die Hose war noch ein Problem. Sie ging wieder nach draußen, dachte an den kurzen Flur, wo die Jacken hingen, und dort wurde sie fündig. An der Wand hing ein alter Daunenanzug, er war weich und bequem, nur vielleicht ein bißchen zu klein. Sie würde das Gefühl haben, sich in eine Wurstpelle zu quetschen. Aber der Anzug war sauber. Im Vergleich zu dem, den sie jetzt noch anhatte, war er sauber. Er roch nach Skiwichse und Brennholz. Eva legte die Kleider auf den Boden und fing an, sich auszuziehen. Das Schlimmste waren ihre Hände, sie gab sich alle Mühe, damit ihr Gesicht nicht zu berühren, sie konnte ihren Gestank nicht mehr ertragen. Vielleicht könnte sie sie mit Spülmittel übergießen und mit einem Handtuch trocknen. Sie zitterte wieder vor Kälte, war aber gleichzeitig guter Dinge. Immer wieder blickte sie zum Eimer hinüber, diesem fleckigen Farbeimer, er sah so unschuldig aus, wer hätte glauben mögen, daß er ein Vermögen enthielt, abgesehen von ihr selber natürlich. Sie war schließlich ein Mensch mit Phantasie. Eine Künstlerin.
Schließlich fand sie in der Ausklappbank ein Paar Skistiefel, deren Schnürsenkel ihr einige Mühe bereiteten. Ihre Finger tauten zwar jetzt auf, wollten ihr aber noch immer nicht gehorchen. Sie stopfte ihre schmutzigen Kleider in den Rucksack, den der Mann in eine Ecke geschleudert hatte. Nahm den Sack auf den Rücken, die Taschenlampe in die eine und den Eimer in die andere Hand. Kein Grund, sich durch das kleine Küchenfenster zu quälen, nicht nach allem, was passiert war. Die Tür war von außen abgeschlossen. Sie ging wieder ins Schlafzimmer, riß das Rollo herunter und machte das Fenster weit auf. Atmete die Gebirgsluft ein und kletterte auf die Fensterbank. Und dann sprang sie hinaus.
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D er Mann fuhr einen blauen Saab. Er machte ein wütendes Gesicht, Zorn und Ärger ließen seine Augen aufleuchten. Das Geld war weg. Irgendwer war ihm zuvorgekommen, und er konnte sich einfach nicht vorstellen, wer. Das Auto ruckelte und schaukelte über den Kiesweg, und wieder fluchte der Mann. Der See lag jetzt auf seiner linken Seite, das Wasser war spiegelglatt, die meisten Ferienhäuser waren dunkel. Der Mann fühlte sich betrogen. Etwas Unbegreifliches war passiert, und er suchte in den vergangenen Monaten nach etwas, das diese Katastrophe erklären konnte, die schwindelerregende Tatsache, daß jemand in die Hütte eingebrochen war und das Geld gestohlen hatte. Sein Geld. Natürlich war genau das passiert. Sonst hatte nichts gefehlt, Fernglas und Fotoapparat, Fernseher und Radio hatten an Ort und Stelle gestanden. Nicht einmal der Weinvorrat im Keller war angerührt worden. Der Mann schlug mit der Faust aufs Lenkrad und fuhr in den Kurven ein wenig langsamer. Auf eine plötzliche Eingebung hin bog er links ab, er entdeckte einen kleinen Weg voller Schlaglöcher, der zum See hinunter führte, zu einem kleinen Schuppen oder einer Hütte. Die Hütte schien leer zu stehen und seit langem nicht mehr benutzt worden zu sein. Er fuhr bis zum Wasser und ließ den Motor im Leerlauf. Mußte sich ein wenig beruhigen. Zog die Zigaretten aus der Jackentasche und steckte eine an, während er nachdenklich auf die spiegelglatte Wasseroberfläche starrte. Sein Gesicht warschmal, die Augen saßen dicht beieinander, Haare und Augenbrauen waren dunkel. Er war ein ziemlich gutaussehender Mann, aber seine Miene ruinierte sein Aussehen, er sah verkniffen und beleidigt aus, und wenn er ein seltenes Mal lächelte, dann war dieses Lächeln nicht überzeugend. Jetzt lächelte er nicht. Er zog wütend an seiner Zigarette, ärgerte sich über den in der Stille dröhnenden Motor und schaltete ihn aus, öffnete die Tür und ging zum Wasser, um die großartige Landschaft besser sehen zu können. Es wurde sehr dunkel, als er die Scheinwerfer ausmachte, aber langsam zeichneten sich vor der Dunkelheit die Berge ab. Lagen da wie riesenhafte Ungeheuer aus grauer Vorzeit, die an ihrem Wasserloch schliefen. Der Mann hätte gern wütend in die Dunkelheit hinausgeknurrt, vielleicht würden sie dann aufwachen und das Knurren erwidern. Und dann fiel sein Blick auf den Wagen. Einen alten Ascona. Der stand hinter
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