Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
mich auf meine zitternden Hände, meine Handflächen drückten sich in den modrigen Teppich, Ardens Grausamkeit holte mich in die Realität zurück. Selbst wenn ich eine Zweitklässlerin mit gebrochenem Bein in der Wildnis gefunden hätte, hätte ich sie nicht allein gelassen – ich würde es einfach nicht über mich bringen, schließlich käme es einer Todesstrafe gleich.
»Ich weiß, dass es kein Spiel ist, und genau aus diesem Grund sollten wir zusammenbleiben.« Ich brauchte Arden, aber mir wollte kein plausibler Grund einfallen, warum sie mich brauchen könnte. Trotzdem zerbrach ich mir den Kopf und versuchte, an den kalten, darwinistischen Teil in ihr zu appellieren. »Ich kann dir helfen.«
Arden ließ sich auf das alte Sofa fallen, aus dessen Polster an manchen Stellen verdrehte, rostige Sprungfedern hervorstanden. »Und wie soll das aussehen?« Sie zog einen toten Käfer aus ihren verfilzten Haarspitzen und schnippte ihn ins Feuer, wo er mit einem lauten Geräusch platzte.
»Ich bin schlau. Ich kenne mich mit Karten aus und kann einen Kompass lesen. Außerdem sehen vier Augen mehr als zwei.«
Arden gab ein Schnauben von sich. »Wir haben weder Karten noch einen Kompass, Eve. Und du magst ja schlau sein, was Bücher anbelangt«, verbesserte sie mich und hielt den Finger hoch, »das ist hier aber völlig bedeutungslos. Kannst du fischen? Kannst du jagen? Würdest du jemanden töten, um mich zu verteidigen?«
Ich schluckte hart, denn ich kannte die Antwort: nein. Natürlich nicht. Ich hatte in meinem Leben noch nicht einmal eine Schnecke umgebracht, sondern die Mädchen, die Salz auf die Schnecken streuten, um dabei zuzusehen, wie sie sich wanden, bei der Lehrerin angeschwärzt. Aber ich wollte Arden beweisen, dass sich jedes einzelne Jahr gelohnt hatte, das ich in der Bibliothek verbracht hatte, während sie bei irgendwelchen Spielen auf dem Rasen mit Hufeisen einen Stock zu treffen versuchte. »Die Schulleiterin hat mir die Verdienstmedaille verliehen …«
Arden warf den Kopf zurück und prustete los. »Du bist echt lustig. Aber ich bin wirklich gut allein klargekommen. Du allerdings …«
Ich sah zu Boden und betrachtete mich durch ihre Augen. Ein Ast hatte Löcher in meinen Schulpullover gerissen. Meine Handflächen waren blutverkrustet und meine Arme nackt, obwohl es eine kalte Frühlingsnacht war. Ich fühlte mich schwach – schwächer, als ich je in der Schule gewesen war, ich hatte nichts zu essen und nichts zu trinken und niemanden, auf den ich mich verlassen konnte. Mir stiegen Tränen in die Augen.
»Du verstehst das nicht – du hast Eltern, einen Platz, wo du hingehen kannst. Du weißt nicht, wie es ist, allein zu sein.«
Ich schlug die Hände vors Gesicht und weinte. Ich wollte nicht allein in den Wäldern draufgehen. Ich wollte nicht verhungern oder von einem Mann gefangen werden. Ich wollte nicht sterben.
Es dauerte einen Moment, bevor ich bemerkte, dass Arden von ihrem Platz auf dem Sofa aufgestanden war und ein weiteres Stück Kaninchenfleisch auf das Feuer gelegt hatte. »Stell dich nicht so an«, meinte sie und reichte mir kurz darauf den Stock mit dem aufgespießten Fleisch. Ich schlang es gierig herunter, ließ den Saft über meine Hände und mein Kinn laufen und scherte mich nicht um gute Manieren.
»Ich kann nicht noch mehr Zeit vergeuden. Meine Eltern haben vielleicht mittlerweile mitbekommen, dass ich die Schule verlassen habe … vielleicht suchen sie nach mir«, erklärte Arden, als ich mit Essen fertig war.
Am liebsten hätte ich die Augen verdreht, aber ich verkniff es mir. Selbst jetzt, mutterseelenallein in der Wildnis, prahlte Arden mit ihren Eltern. Gleich würde sie mir von dem vierstöckigen Haus erzählen, in dem sie gelebt hatten, und dass sie schon als kleines Kind in einem riesigen Bett geschlafen hatte. Wie schwer es für sie gewesen war, das alles zurückzulassen, auch wenn es nur für ein paar Jahre war. Sie vermisste die Dienstmädchen, die Abendessen, die auf Porzellan serviert wurden, ihre Eltern, die sie zu Theaterstücken mitnahmen und ihr erlaubten, das Kinn auf das Geländer der Brüstung zu legen, um einen besseren Blick auf die Bühne zu haben.
»Du kannst heute Nacht bleiben. Dann sehen wir weiter«, erklärte Arden und warf mir eine zerfetzte graue Decke zu.
Ich legte sie mir um die Schultern, während das Feuer zu einem Häufchen glimmender Asche zusammenfiel. »Danke.«
»Keine Ursache.« Arden drehte sich auf ihrem Berg Steppdecken um,
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