Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
Wasseroberfläche. Im Haus einige Meter weiter brannte Licht. Während die Sonne die Baumwipfel berührte, ging ich auf das Leuchten zu. Ich wusste nicht, wer dort wohnte oder ob sie mir helfen konnten, aber ich musste es zumindest herausfinden.
Die meisten hölzernen Spielgeräte im Hof waren kaputt. Um die verrostete Kette der Schaukel wanden sich Ranken und zogen sie zu Boden. Ich kroch unter der eingestürzten Rutsche hindurch auf ein halb offenes Fenster zu und spähte hinein. Das Wohnzimmer war klein, nur ein vermodertes Sofa stand darin und an den Wänden hingen ein paar Fotografien in beschädigten Rahmen. Eine Gestalt mit einer Kapuze beugte sich über ein Feuer und kochte.
Der Rauch stieg zur Decke auf und wehte nach draußen, er quälte meine Nasenlöcher mit dem Versprechen von gebratenem Fleisch. Die Gestalt riss mit den Zähnen das Fleisch von einem Kaninchenschlegel und nagte fieberhaft den Knochen ab. Schon bei der Vorstellung, wie köstlich es schmecken musste, lief mir das Wasser im Mund zusammen.
Vom Eckfenster der Bibliothek aus hatte ich einmal einen Streuner gesehen, der jenseits der Mauer Blätter aß. Streuner gehörten weder zu Banden noch waren sie Teil des königlichen Regimes, sie waren Außenseiter, die in der Wildnis lebten. Man hatte uns eingebläut, wie gefährlich sie waren. Doch dieser hier hatte die schmale Statur einer Frau, das nahm mir ein wenig die Angst.
»Hallo!«, rief ich durch das Fenster. »Ich brauche Hilfe. Bitte!«
Die Gestalt sprang vom Boden auf, drückte sich gegen die Wand und hielt ein Messer hoch.
»Zeig dich!« Ihre Kapuze war so groß, dass sie ihr Gesicht verdeckte, doch im Feuerschein sah ich ihre zarten Lippen, die vom Fleisch fettig glänzten.
»Klar, kein Problem«, erwiderte ich und streckte die Hände vor. Als ich das Fenster aufstieß, brachen die rostigen Angeln ab und um Haaresbreite wäre das Fenster ins Zimmer gefallen. Ich hangelte mich ins Haus, wobei ich darauf achtete, die Hände so zu halten, dass sie sie sehen konnte. »Ich habe nichts mehr zu essen.«
Noch immer streckte sie mir das Messer entgegen. Sie trug den dunkelgrünen Overall der Regierungsarbeiter und ihr schwarzes Kapuzenshirt war viel zu groß. Ihre Augen konnte ich nicht sehen.
Als ich die Arme sinken ließ, bemerkte ich plötzlich den offenen Rucksack, in dem eine Schuluniform steckte. Das Wappen des Neuen Amerika leuchtete rot und blau. Ich trat einen Schritt zurück, langsam nahm ich ihre Springerstiefel wahr, ihre hochgewachsene Gestalt, den Leberfleck über ihrer Lippe. »Arden?«
Sie zog die Kapuze zurück. Ihr kurz geschnittenes Haar war strähnig und ihre blasse Haut sonnenverbrannt, an manchen Stellen schälte sich der Nasenrücken.
Ich trat vor, schlang die Arme um sie und umklammerte sie so fest, als wäre sie das Einzige, was mich auf der Erde hielt. Ich atmete tief, es war mir egal, dass wir beide nach durchgeschwitzten Kleidern stanken.
Arden war da. Am Leben. Neben mir.
»Was soll das?«, blaffte sie mich an und stieß mich weg. »Wie bist du hergekommen?« Sie sah wütend aus und plötzlich fiel mir ein, dass sie mich hasste.
Fassungslos setzte ich mich auf den Boden. »Ich bin geflohen. Du hattest recht – ich hab sie gesehen. Die Mädchen … In diesem fabrikartigen Saal.« Arden lief vor dem Feuer auf und ab, mit einer Hand hielt sie noch immer das Messer umklammert. »Ich bin den Schildern gefolgt, auf denen 80 stand …« Ich redete nicht weiter, denn mir wurde bewusst, dass sie wahrscheinlich dasselbe getan hatte.
»Califia kann nicht weiter als eine Woche entfernt sein, bald kommen wir an die rote Brücke –«
Im Hin- und Herlaufen presste Arden die stumpfe Seite des Messers gegen ihr Bein. »Du kannst nicht bei mir bleiben. Ich kann es nicht zulassen, es tut mir leid, aber du musst einfach –«
»Nein.« Ich dachte nur an die riesigen Ratten, die nachts über meine Beine huschten, an meine kläglichen Versuche, Kaninchen zu erlegen. »Das kannst du nicht machen, Arden. Du kannst mich nicht wegschicken.«
Arden zog das Messer über den Kamin aus Ziegeln, bei dem kratzenden Geräusch lief es mir kalt über den Rücken. »Das ist kein Spiel, Eve. Du machst hier nicht mal eben Ferien von der Schule.« Sie deutete zum Fenster. »Da draußen sind Männer und Hunde und alle möglichen wilden Tiere, und alle wollen uns umbringen. Du hältst das nicht durch. Ich … Ich kann das Risiko nicht eingehen. Allein sind wir besser dran.«
Ich setzte
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