Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
die auf dem Sofa ausgebreitet waren und sie wie ein riesiges Vogelnest umschlossen. »Die hab ich bei einem Skelett ein paar Kilometer weiter gefunden.« Sie lachte laut los.
Ich warf die Decke von den Schultern und lehnte mich in die Ecke. Es war mir egal, dass meine Zähne wie die Nächte vorher vor Kälte klapperten.
Im Licht der Mondsichel konnte ich die Fotos an den Wänden sehen. Eine junge Familie posierte vor dem Haus. Sie lächelten, hatten die Arme umeinander geschlungen und wussten ebenso wenig wie ich, was ihnen bevorstand.
SECHS
Am nächsten Nachmittag lief ich hinter Arden durch ein Sonnenblumenfeld und stieß dabei die riesigen schwarzäugigen Monsterblumen aus meinem Gesicht. Außer dass wir uns zum Frühstück auf gebratenes Kaninchen geeinigt hatten, war zwischen uns kein Wort gefallen, was ich als gutes Zeichen nahm. Irgendwie hatte ich erwartet, ohne Essen, ohne Decken und ohne Arden aufzuwachen. Doch sie war nicht weggegangen und ich fragte mich, ob ihr Schweigen bedeutete, dass wir zusammenbleiben würden. Ich hoffte es, schon meinem Magen zuliebe.
Wir liefen die grasbewachsene Straße einer verlassenen Wohngegend hinunter. Die Dächer der Häuser waren eingestürzt und entlang des Weges standen Basketballkörbe, die wild wuchernde Ranken in üppige Pflanzenskulpturen verwandelt hatten. Wir kamen an alten Autowracks mit zersprungenen Windschutzscheiben und verrosteten Türen vorbei. Auf einer überwucherten Auffahrt standen zwei vermoderte Särge, einer für einen Erwachsenen, der andere für ein Kind.
Die letzten Tage vor dem Tod meiner Mutter hatte ich allein draußen gespielt. Aus Angst, sie könnte mich anstecken, hatte sie mich aus ihrem Schlafzimmer ausgesperrt. Ich legte meine Puppe auf das Steinsims in unserem Garten und pflegte sie mit allen möglichen Tränken aus zerstampften Blättern und Matsch. Bald geht es dir besser, versprach ich ihr, wenn ich meine Mutter durch das offene Fenster weinen hörte. Der Arzt ist schon unterwegs, flüsterte ich. Er wird dich retten. Er hat bloß im Moment so viel zu tun.
»Du bist echt morbide drauf, oder?«, fragte Arden. Sie zerrte mich am Arm. Ich war, ohne es zu merken, bei den beiden Holzkisten stehen geblieben und hatte die kleinere angestarrt.
»Tut mir leid.« Als ich die Straße weiter hinunterlief, versuchte ich, meine melancholische Stimmung abzuschütteln. Dass Arden nicht nachempfinden konnte, was mir durch den Kopf ging, verstärkte mein Gefühl von Trauer und Einsamkeit. Ich pflückte ein paar Wildblumen und umklammerte den farbenfrohen Strauß.
»Von mir aus können wir zusammen nach Califia reisen«, sagte Arden und stapfte durch das hohe Gras. »Aber danach musst du allein klarkommen. Ich werde mich zwar dort ausruhen, doch anschließend muss ich weiter und irgendwie meine Eltern in der Stadt erreichen.«
»Wirklich?«, fragte ich, meine Traurigkeit wich Erleichterung. »Ach, Arden, ich –«
Arden wirbelte herum, sie kniff die Augen im Sonnenlicht zusammen. »Krieg dich wieder ein. Ich kann meine Meinung immer noch ändern …«
Eine Weile liefen wir schweigend nebeneinander her. Meine Gedanken wanderten wieder zur Schule, zu der Nacht, in der ich geflohen war. Zu den Gerüchten, dass man Arden über den See hatte schwimmen sehen. Jetzt, da ich das Fleisch gegessen hatte, das sie gejagt, gehäutet und gebraten hatte, erschienen mir diese Gerüchte nicht mehr ganz so abstrus. »Stimmt es, dass du schwimmen kannst?«, fragte ich schließlich.
»Wer hat dir das denn erzählt?« Arden zog ihr schwarzes Kapuzenshirt aus und entblößte ihre blassen Arme. Ihre Schultern waren voller Sommersprossen.
»Du wurdest gesehen.« Ich verschwieg, dass ich für die Überquerung des Sees eine Stunde gebraucht hatte, weil ich mich an den dornigen Zweigen festhalten musste.
Arden lächelte, als würde sie sich an etwas Lustiges erinnern. »Ich hab’s mir selbst beigebracht. Das käme dir nie in den Sinn, oder, Miss Abschlussrede?«
Ich überhörte ihre Bemerkung. »Hattest du keine Angst, erwischt zu werden?« Vor uns hoppelte ein graues Kaninchen über die Straße.
»Die Wächterinnen sind nach zwölf normalerweise nicht mehr draußen, es sei denn, sie haben irgendwelche Sonderaufträge. In den meisten Nächten ist das Schulgelände ziemlich ruhig.« Arden pirschte sich mit dem Messer in der ausgestreckten Hand an das Kaninchen heran. Es rührte sich nicht, als sie näher herankroch.
Ich bekam das Bild, wie sie schwamm, nicht aus
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