Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
schwarz wurde, bat Lark Otis, noch einen Film einzulegen. Doch ich konnte nicht sprechen. Der Film hatte von Liebe gehandelt, von Trennung und Tod. All meine Gedanken drehten sich um Caleb.
»Ich leg mich ein bisschen hin«, sagte ich und vermied sorgfältig Ardens Blick.
Marjorie legte das Messer aus der Hand. »Alles in Ordnung mit dir, Liebes?«
»Bleib hier«, drängte Lark. »Wir schauen uns auch nur noch einen an.«
Ich stand schon an der Kellertreppe. »Mir geht’s gut, ich bin nur ein bisschen müde. Wahrscheinlich war das alles ein bisschen zu viel«, log ich. Arden nickte mir verständnisvoll zu, als ich die Treppe hinunterstieg.
»So ist sie manchmal«, hörte ich sie hinter mir sagen. »Kein Grund zur Sorge.«
In dem dunklen geheimen Zimmer legte ich mich aufs Bett und ließ meinen Tränen freien Lauf. Bald fing ich an zu schluchzen, es waren die tiefen, erstickten Schluchzer von jemandem, der nie Abschied nehmen konnte. Es gab bloß dieses Bett, bloß die Straße nach Califia, in ein paar Tagen war ich wieder auf der Flucht. Ich würde Caleb nie wiedersehen.
Als Lark und Arden Stunden später schlafen gingen und die Dosen hinter sich aufstapelten, tat ich, als ob ich schliefe. Arden zog eine Decke über meine nackten Zehen und steckte sie sorgfältig um meine Füße fest. »Gute Nacht«, flüsterte sie. Bald ging ihr Atem flacher und langsamer und sie fiel in einen tiefen Schlummer.
Ich jedoch bekam kein Auge zu – es ging einfach nicht. Ich dachte an das Holzregal an Marjories Wand, an das Funkgerät, das darauf stand. Ich stellte mir Caleb in jener Nacht im Arbeitslager vor, als er den Knopf des Geräts hin und her gedreht und im Bett liegend gelauscht hatte. Ich erinnerte mich an das Funkgerät, das auf dem kleinen kaputten Tisch in seinem Zimmer gestanden hatte. Bestimmt hörte er noch immer die Botschaften. Wie sollte er sonst Neuigkeiten aus der Stadt erfahren? Wie sollte er sonst mit Moss kommunizieren?
Ich stand auf und spürte weder die Stunden, die vergangen waren, noch die Erschöpfung von der Fahrt mit Fletcher oder die Tränen, die mich innerlich leer gemacht hatten. Ich nahm die Dosen so lautlos herunter, wie ich konnte, und hatte das Gefühl, dass alles möglich war.
Er suchte Glück in Blumen, Tieren. Hofft in Liebe für Eloise …
Oben lag das Wohnzimmer im Dunkeln. Ich tastete mich vorwärts und entdeckte irgendwann eine Laterne auf dem Küchentisch. Ich überlegte, Marjorie zu wecken, aber ich hätte zu viel erzählen müssen. Von der Plünderung, was mit Leif passiert war und von dem Satz, der Caleb dazu gebracht hatte, in den Wald zu verschwinden.
Ich öffnete die Küchenschränke und suchte hinter eingebrannten Töpfen und Gläsern mit Eingemachtem nach einem Stück Papier mit einer Ortsangabe. Die Lehrerin hatte vor langer Zeit einmal erzählt, dass vor der Epidemie ein richtiges System zur Verteilung der Post existiert hatte. Adresse war das Wort, das sie benutzt hatte. Ich durchsuchte eine Schublade mit Küchenutensilien, eine weitere mit Batterien, Gummis und Scheren. In der Schublade des Tisches hinter dem Sofa lagen alte Fotos der jungen schwangeren Marjorie, an deren Bein sich eine kleine Tochter klammerte. Ich nahm ein anderes, das zwei Kinder im Schaumbad zeigte. Es war komisch, dass Marjorie und Otis ihre Töchter nicht erwähnt hatten, dass an den Wänden keine Spur von ihnen zu finden war.
Unter weiteren Fotos lagen drei dicke Pappkarten mit aufgedruckten Bildern. Auf einer stand Phuket, Thailand, das Wasser dort reichte bis zum Horizont. Auf der Rückseite stand: Hallo, Mom und Dad. Tom und ich haben viel Spaß. Hier gibt es die tollsten Strände der Welt. Es ist das Paradies. Alles Liebe, Libby. Daneben stand als Adresse Sedona, Arizona.
Ich nahm das Funkgerät vom Regal und drehte an dem Knopf, wie ich es während der Versammlungen bei den Lehrerinnen in der Schule gesehen hatte. Ein leises Knistern erfüllte den Raum. Ich hielt das Sprechgerät in der Hand und drückte auf den Knopf. Das Knistern verstummte. Ich sprach deutlich, damit jedes Wort zu verstehen war. »Iris, Chrysanthemen, Hortensien blühen immer noch. Ein Sommer. Ein Veilchen erfriert. Holunder, Oleander, Lorbeer mitten im Chaos. Hier Caesar aus Lybien. Eine Bitte.« Ich wiederholte es noch einmal, dann noch einmal, als würde ich ihm einfache Wahrheiten erzählen: Ich vermisste ihn. Ich brauchte ihn. Es tat mir leid.
Nachdem ich es zehnmal aufgesagt hatte, packte mich der Rhythmus der
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