Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
Worte und ich fügte hinzu: »Schick einen durstigen Onkel nach Amerika.« Auch das wiederholte ich. Dann ließ ich den Knopf los. Es war nur Rauschen zu hören.
Bitte, sag was, dachte ich und stellte mir vor, wie er in dem ramponierten Sessel saß, während meine Stimme durch sein Zimmer hallte. Sag irgendwas. Doch in meinen Ohren klang bloß das dumpfe Rauschen von nichts. Ich wartete und starrte auf das schwarze Sprechgerät, schließlich stellte ich das Funkgerät wieder ins Regal. Vielleicht hatte er es nicht gehört. Vielleicht war er noch wütend. Es schreckte mich trotzdem nicht ab.
Morgen und übermorgen und jeden Tag bis zu unserer Abreise würde ich noch mehr Botschaften schicken. Meine Stimme würde in der Höhle widerhallen, die Wörter würden sich zu verschlüsselten Sätzen zusammenfügen, ich würde sie immer wieder wiederholen, bis sie ihn dort in der Nacht erreichten.
SIEBENUNDZWANZIG
»Ich will noch mehr Filme sehen«, quengelte Lark. Sie stellte die Teller, an denen die Überreste unseres Frühstücks klebten, ins Spülbecken. Marjorie und Otis saßen am einen Ende des Tisches und tranken ihren Tee aus, während Arden und ich am anderen Ende Rommé spielten.
»Keine Filme mehr.« Arden sah über den Kartenfächer in ihrer Hand hinweg zu mir. Ihr normalerweise verstrubbelter Bob war ordentlich hinter die Ohren gekämmt und ihre sauber geschrubbte Haut hatte einen gesunden Glanz. »Wir brauchen nicht noch mehr Liebesdramen.«
Ich spielte mit meinen fransigen Haarspitzen, in Gedanken war ich halb am Tisch und halb bei Caleb. Nachdem ich in der Nacht zuvor die Botschaft gesendet hatte, war ich auf die durchgelegene Matratze gesunken und in tiefen Schlummer gefallen. Bald waren meine Gedanken Träumen gewichen und ich sah Caleb in seinem Zimmer, wo er das Funkgerät festhielt.
Ich sah ihn, wie er der Botschaft lauschte.
Lark kam zum Tisch und deutete mit dem Finger auf Arden. Der Pullover, den sie trug, war drei Nummern zu groß und rutschte ihr von der nackten Schulter. »Du kannst nicht alles bestimmen. Auch wenn ich jünger bin als du, hab ich ein Recht mitzuentscheiden –«
»Schon gut, schon gut«, mischte sich Otis ein und hielt die Hände hoch. Er lachte, seine grauen Augen begegneten Marjories Blick. »Das ist ja wie früher.«
Ich musste wieder an das Foto des Strandes auf der Karte denken und an die hingekritzelte Nachricht des Mädchens namens Libby. »Haben Sie eine Tochter?«, fragte ich und breitete die Karten vor mir aus.
»Zwei«, antwortete Marjorie. Sie wischte den Tisch ab und kratzte mit dem Fingernagel einen angetrockneten Tomatenkern ab. »Libby und Anne.«
Otis stand auf. Er wandte uns den Rücken zu, als er einen Eimer Wasser in das Spülbecken kippte. »Sie waren genau so, wie man sich Kinder wünscht«, sagte er. »Sie waren siebenundzwanzig und dreiunddreißig.« Als er sich umdrehte, hatte er Tränen in den Augen.
»Wir reden eigentlich nicht mehr viel darüber«, warf Marjorie ein, die Teller klapperten im Becken aneinander. »Wie dem auch sei. Was Otis sagen wollte: Es ist schön, euch Mädchen hier zu haben.«
Ich dachte an meine Mutter und den Brief, den sie mir geschrieben hatte. Sie hatte ihn mir an dem Tag, als die Laster kamen, in die Hosentasche gestopft, er war alles, was mir von ihr geblieben war. Genau wie die anderen Andenken, die ich im Höhlencamp zurückgelassen hatte, war der Brief für immer verloren. Ich dachte daran, wie sich meine Mutter neben mich ins Bett gekuschelt und mir Geschichten von einem Elefanten namens Babar vorgelesen hatte. Sie hatte mir die Schnürsenkel zugebunden, mich angezogen und mir die Haare gekämmt. Ich hab dich lieb, hatte sie mit jedem Knopf, den sie zuknöpfte, jeder Falte, die sie glatt strich, wortlos gesagt. Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich.
»Wir sind auch froh, hier zu sein«, antwortete ich.
Doch Marjorie sah über meine Schulter hinweg auf etwas. Die Falten auf ihrem Gesicht erschienen mir tiefer und strenger, als sie auf die Bücherregale zuging. Zuerst fuhr sie über das oberste Regalbrett, anschließend über das schwarze Metallfunkgerät darunter. »Es war jemand am Funkgerät.«
Die Art, wie sie es sagte – leise und mit unterschwelligem Zorn –, erschreckte mich. Otis stützte sich mit den Armen auf den Küchentresen und musterte Lark.
»Warum sehen Sie mich an?«, fragte Lark. Sie wich schnell zurück und zog den Pullover fester um die Schultern. »Ich habe nichts
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