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Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Titel: Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Carey
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Grund.«
    »Wir sind nicht gegangen«, erklärte Otis, »weil es falsch war. Und immer noch ist.«
    »Während der Epidemie und auch danach hatten alle solche Angst«, fuhr Marjorie fort. »Bevor es passierte, gab es eine offizielle Regierung, eine Demokratie. Doch die Krankheit schlug so schnell zu, dass die Hälfte der führenden Politiker nach einem halben Jahr tot war. Die Gesetze hatten keine Bedeutung mehr – kein Mensch las mehr die Verfassung. Informationen wurden zurückgehalten. Einiges geschah mit Absicht, da bin ich mir mittlerweile sicher. Nach einer langen Zeit ohne Strom, ohne Telefone hatten wir keine Ahnung mehr, was los war. Dann verkündet dieser Politiker plötzlich Pläne für den Wiederaufbau. Eigentlich sollte er nur so lange an der Macht bleiben, bis sich die Lage einigermaßen beruhigt hatte, doch es dauerte zwei weitere Jahre, bis die Seuche überstanden war. Und danach trauten ihm alle. Sie glaubten ihm, als er verkündete, Amerika müsse unter einem Anführer vereint werden. Sie hatten solche Angst, dass sie einfach zuhörten und ihm folgten. Sie hinterfragten nichts und alles wurde nur noch schlimmer.«
    »Vielleicht wird es wieder anders, wenn wir warten?« Lark stützte das Gesicht in die Hände. »Es kann doch nicht ewig so weitergehen. Vielleicht, sobald die Stadt aus Sand fertig ist und –«
    »Die Zeit an sich ist etwas Wertfreies«, verbesserte sie Marjorie, ihre Worte kamen so monoton, als hätte sie sie auswendig gelernt. »In Wirklichkeit ist die Zeit wesensmäßig neutral: Unsere Generation muss nicht allein büßen für die Hassworte und Untaten der Schlechten, sondern auch für das erschütternde Schweigen der Guten.«
    Otis lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und streckte sein rechtes Bein aus. »Martin Luther King jr.«
    »Wer ist das?«, wollte ich wissen und nahm mir das letzte Stück Wildschweinfleisch.
    Otis und Marjorie sahen sich an. »Ihr Mädchen müsst noch eine Menge lernen«, stellte er fest.
    »Wir haben ja ein paar Tage«, antwortete ich. In der Schule hatte ich so viel gelernt, doch jetzt schien alles wertlos. Meine wirkliche Ausbildung hatte mit Caleb begonnen. Ich hatte das Gefühl, erst am Anfang zu stehen; die Wahrheit war etwas, das ich mir noch nicht einmal vorstellen konnte.
    »Stimmt«, erwiderte Marjorie. »Das haben wir.« Sie fuhr mit den Händen über die Tischplatte, ihr Blick begegnete dem von Otis. »Was hältst du davon, wenn du fürs Erste den Projektor anschaltest. Ich könnte wetten, diese Mädchen haben noch nie einen anständigen Film gesehen.«
    Otis ging in die Mitte des Zimmers, wo eine flache Kiste an ein riesiges Paket angeschlossen war, das mit glänzendem grauen Klebeband umwickelt war. »Läuft mit Einwegbatterien«, erklärte er und klopfte auf die Oberseite. »Meine Erfindung.« Er drückte auf ein paar Knöpfe, daraufhin leuchtete auf der Wand über dem Kamin ein weißes Rechteck auf.
    »Was ist das?«, fragte Lark und setzte sich auf das Sofa.
    Sie zog ein Spitzenkissen auf den Schoß. Leise Musik erfüllte den Raum und auf der Wand über dem Kamin leuchteten die Worte Ghost – Nachricht von Sam auf.
    Ich hatte bisher nur kleine Ausschnitte aus Videos gesehen, die jenseits der Mauern aufgenommen worden waren. Wir hatten uns um die Lehrerin gedrängt und auf den winzigen Bildschirm gestarrt, den sie in den Händen hielt. Ich hatte Rudel streunender Hunde gesehen, die über Hirsche herfielen. Ich hatte gesehen, wie sich hohes Gras bewegte, wenn Banden sich hindurchkämpften und auf Händen und Füßen krochen, um nicht entdeckt zu werden. Doch das hier war etwas völlig anderes. Bilder huschten über die Wand: Ein Hammer schlug eine wackelige alte Mauer ein, eine Frau fiel einem Mann in die Arme, um ihn zu küssen, Menschen eilten die breiten Straßen einer Stadt hinunter, genau wie Otis es beschrieben hatte. Arden und ich standen da und starrten gebannt.
    »Ihr könnt euch hinsetzen«, lachte Marjorie und führte uns zum Sofa. Mein Körper versank in den Polstern und langsam vergaß ich, wo ich war, und tauchte stattdessen in die Welt ein, die sich vor mir an der Wand abspielte. Ich wurde rot, als Sam seine Arme um Molly schlang und der feuchte Ton unter ihren Händen in sich zusammenfiel. Mein Körper spannte sich an, mein Atem ging stoßweise, als sie auf einer dunklen Straße angegriffen wurden. Am Ende, als sie voneinander Abschied nahmen, hielt ich mir die Hand vor den Mund, um nicht loszuheulen.
    Als die Wand wieder

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