Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
schnürte es mir vor Rührung die Kehle zu.
»Das sieht köstlich aus«, stellte ich fest. Lark setzte sich an den Tisch und schaufelte sich eine große Portion auf den Teller. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihr Nachthemd auszuziehen.
Arden sah sich im Zimmer um und betrachtete die Front- und Seitenfenster und die Türen zum Garten. Überall waren sorgfältig die Gardinen zugezogen. »Sind Marjorie und Otis Vampire?«, fragte sie flüsternd. Marjorie hantierte in der Küche, schnitt Tomaten klein und warf sie in die Schüssel. Ich dachte wieder an die Jagd durch den Wald, an Fletcher und die Wunde in seiner Brust, als sie ihn erschossen hatte.
»Liegt er noch dort draußen?«, fragte ich und sah sie an.
Marjorie hielt inne. Dann deutete sie mit dem Messer auf das Fenster auf der Vorderseite des Hauses. »Bill und Liza kümmern sich um ihn.«
Arden starrte auf die Platte mit Fleisch. »Wer sind Bill und Liza?«
»Unsere Katzen«, erwiderte Marjorie. Sie stellte die Tomaten vor Otis und legte ihm die Hand in den Nacken.
Lark schluckte und sah abwechselnd zu Marjorie und Otis. »Ihre Katzen kümmern sich um Fletcher?«
Otis nickte und nahm noch einen Bissen von seinem Fleisch.
Ich zog den Vorhang des Frontfensters ein Stück zur Seite und ließ einen schmalen hellen Lichtstreifen herein, der den Staub in der Luft sichtbar machte. Hundert Meter weiter zerrten zwei Pumas an Fletchers Leichnam und schlugen die Zähne in sein blutiges Fleisch. Einem der Tiere hing eine Hand aus dem Maul, zwischen den Zähnen sah man die gräulichen Finger.
»Bleib besser vom Fenster weg, Liebes«, sagte Marjorie und winkte mich wieder an den Tisch. »Es besteht immer die Gefahr, dass wir von Soldaten beobachtet werden.«
Lark kaute auf einem Streifen Wildschweinfleisch herum. Sie beäugte Marjorie und Otis misstrauisch. »Sind Sie … verheiratet?«
Marjorie strich mit den Fingern über die von Otis, ihre Augen funkelten amüsiert. »Ich habe Otis lange vor der Seuche kennengelernt. Damals habe ich in New York gelebt –«
»Sie wissen nicht, was New York ist«, zog Otis sie auf. Marjorie zog die Nase kraus und tat, als wäre sie genervt. Er wandte sich zu uns, doch er wirkte abwesend. »New York war auf der anderen Seite des Landes und es war eine der spektakulärsten Städte der Welt. Gebäude ragten aus der Erde empor, auf den Gehwegen drängten sich so viele Menschen, dass man sich vorwärtskämpfen musste. Es gab die U-Bahn und man konnte Hotdogs auf der Straße kaufen.«
Ich hatte Bücher gelesen, die in New York spielten – Der große Gatsby, Haus Bellomont –, trotzdem klang es völlig unglaublich. Schon die bloße Anzahl von Menschen, die man bräuchte, um einen Wolkenkratzer zu bevölkern oder eine Straße … in meinem ganzen Leben hatte ich nicht so viele Menschen gesehen.
Marjorie führte seine Hand an die Lippen und drückte einen Kuss darauf. »Danke, Liebling. Ich lebte damals also in New York und da war er eines Abends, saß mir gegenüber und erzählte irgendeine alberne Geschichte über Recycling.«
»Es ging nicht um Recycling«, gluckste Otis vor sich hin. »Aber ist schon in Ordnung.«
»Was ist Recycling?«, fragte Arden.
»Ist nicht wichtig. Der Punkt ist«, fuhr Marjorie fort, »ich habe nicht zugehört. Ich habe ihn bloß beobachtet und dachte: Dieser Mann, er ist so – ich kannte nicht mal seinen Namen – lebendig. Er war der aufregendste Mensch, den ich je getroffen hatte … und der vertrauteste.« Otis küsste Marjories Hand.
Ich dachte an die Art, wie Caleb mich angesehen hatte, wie ich jeden Zentimeter zwischen uns fühlen konnte. An die Art, wie sich seine sichelförmige Narbe auf der Wange zusammenzog, wenn er lächelte, wie er immer geradeaus starrte, wenn er etwas Wichtiges sagte.
»Ich dachte immer, er würde sich irgendwann in einen Langweiler verwandeln, doch ich habe ihn mit jeder Minute, die ich mit ihm verbrachte, mehr geliebt«, schloss Marjorie.
Arden schluckte eine Gabel Rührei herunter. »Sind Sie deshalb nicht wie alle anderen gegangen?«, wollte sie wissen. »Als der König die Stadt aus Sand ausrief, wollten sie Sie damals trennen?«
Marjorie sah zu Boden, ihr Finger fuhr über die Maserung des Holztisches. »Der König will Leute wie uns nicht in der Stadt haben. Wir sind zu alt, um für ihn von Nutzen zu sein. Er wollte, dass ich in den Schulen unterrichtete, und von Otis verlangten sie, die Böden in den Arbeitslagern zu fegen. Aber das war nicht der
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