Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Titel: Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Carey
Vom Netzwerk:
verstärkten die Melodie mit ihren Tiraden über Männer, die Frauen durch ein schlichtes Lächeln manipulieren konnten. Meine Vergangenheit hatte sich auf einmal zu einem vielstimmigen verführerischen Lied versammelt, das mir einredete, nicht zu gehen.
    »Ihr seid bestimmt müde«, sagte Marjorie schließlich. »Kommt, ich zeige euch euer Zimmer.« Während Otis die leeren Teller zusammenstellte, stand sie auf und führte uns die schmale Holztreppe hinunter. Unter dem Haus befand sich ein Keller, in dem Stühle und Kisten aufgestapelt waren, weiterhin gab es eine ramponierte graue Maschine mit Tasten und ein paar wasserfleckige Zeitungen.
    Ich hob die Zeitung auf, die auf dem Stapel zuoberst lag – The New York Times. Das Titelbild zeigte eine Frau, die die Hand über eine Barrikade streckte, ihr Mund war aufgerissen, als stieße sie einen Klageschrei aus. Im Herzen der Krise, Barrikaden trennen Familie, lautete die Überschrift. Die Lehrerin hatte uns von dieser Stadt erzählt, die Epidemie befiel ganze Wohnblocks und man befestigte Vorhängeschlösser an den Türen, damit niemand mehr herauskam.
    »Hier?«, fragte Arden und deutete auf eine mitgenommene Couch in der Ecke.
    Aber Marjorie ging auf die andere Seite des Raums und öffnete die Türen eines Wandschranks. Sie nahm Konservendose für Konservendose vom Regal, schließlich entfernte sie das mittlere Brett. »Genauer gesagt«, meinte sie und wischte dabei Spinnweben zur Seite, »hier.«
    Sie zündete eine Laterne an und leuchtete damit in ein verstecktes Zimmer. An den Wänden standen zwei Etagenbetten und in der Ecke befand sich ein Metallbecken. Die Wände bestanden aus ungestrichenem Lehm, auf dem Erdboden lag eine dünne graue Matte. Es erinnerte mich an die in die Erde geschlagenen Zimmer im Höhlencamp der Jungen. »Es ist sicherer, falls die Truppen in der Nacht überraschend auftauchen. Wenn ihr um die Ecke geht, gibt es nach ungefähr hundert Metern eine Falltür, die in den Garten führt. Dort liegen auch Handtücher, ein paar Sachen zum Wechseln und auch einige Schuhe«, sagte sie mit einem Blick auf unsere nackten, schmutzigen Füße.
    Arden kletterte durch den Vorratsraum und warf sich auf eines der unteren Betten. »Eigentlich ist es ziemlich geräumig«, meinte sie, als Lark ihr folgte.
    Lark wechselte ihren zerrissenen Kittel gegen ein sauberes Nachthemd, bevor sie sich auf die Matratze fallen ließ und die dünne Steppdecke über sich zog. Sie schmiegte den Kopf auf das platt gelegene Kissen und schien zum ersten Mal ruhig, ihr Gesichtsausdruck entspannte sich, als sie einschlief.
    Mein Bauch war mit Beeren gefüllt und mein Herz schlug wieder gleichmäßig. Wir waren noch immer auf der Flucht, immer noch in Gefahr, doch ich fühlte nicht mehr diese nackte Angst in mir. Ich sah in Marjories freundliches, faltendurchfurchtes Gesicht.
    »Geh rein.« Sie deutete noch einmal auf den Wandschrank, ihre Kleider rochen nach Rauch, der Geruch hatte etwas tröstlich Vertrautes. »Hier passiert euch nichts – das verspreche ich dir.«
    Ich konnte es nicht mehr zurückhalten. Ich fiel ihr um den Hals und überließ mich der Wärme ihres Körpers. Bis auf die kurze Berührung, wenn sie uns die Hand auf den Rücken legten, um uns zum Essen zu schicken, oder wenn sie uns einen kurzen Klaps verpassten, weil wir während des Unterrichts aus dem Fenster starrten, hatten die Lehrerinnen uns nie angefasst. In jenem ersten Jahr hatte ich Lehrerin Agnes einmal angebettelt, mir die Haare zu kämmen. Ich hatte gekreischt, getreten und mit meinen kleinen Armen um mich geschlagen und meine Bürste auf das Porzellanwaschbecken geknallt. Lehrerin Agnes stand über eine Stunde mit den Händen in den Taschen daneben und rührte sich erst, als ich den Knoten selbst entwirrt hatte.
    Langsam hoben sich Marjories Arme und sie drückte mich ebenfalls. Meine Hände pressten sich auf die harten Knochen auf ihrem Rücken. Ich spürte, wie winzig sie unter dem weiten Leinenhemd war. »Danke«, sagte ich und wiederholte es immer wieder, die Worte kamen mit jedem Mal leiser heraus. »Danke, danke, danke.«

SECHSUNDZWANZIG
    Wir erwachten vom Duft gebackenen Brotes. »Wir haben frische Eier für euch Mädchen«, meinte Otis und rückte die Stühle um den Esstisch zurecht. Ich sah auf das Festessen vor uns, auf das dampfende Rührei, das in dünnen Streifen getrocknete Wildschweinfleisch, das weiche Brot auf dem heißen Stein von Marjories Herd. Ich lächelte, schon wieder

Weitere Kostenlose Bücher