Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
früher noch besser gegangen, da hatte sie nicht diese Gelenksschmerzen und auch nicht so viel Übergewicht. Damals hat sie wenigstens immer wieder Jobs gehabt, Hilfsarbeiten eben, weil gelernt hat sie ja nichts. Packerin und Regaleinräumerin und Bedienerin. Dann war sie zu krank dazu. Aber sie hat immer noch Sachen gekauft, die sie nicht gebraucht hat.“
„Wer war eigentlich Arzt von deiner Mutter in Wien?“, will Vesna wissen.
Céline rührt in ihrem Kaffee. „Sie hatte schon länger keinen bestimmten mehr. Sie hat sich geschämt. Wenn du Sozialhilfe beziehst, hast du einen anderen Krankenschein. Und alle wissen sofort, mit wem sie es zu tun haben. Also ist sie lieber in die öffentlichen Ambulatorien gefahren, die sind unpersönlicher.“
„Und in Niederösterreich? Jetzt gibt es die E-Card“, sage ich.
Céline schüttelt den Kopf. „Nicht für Sozialhilfeempfängerinnen. Die haben noch immer ihren Extrakrankenschein. Ich wollte sie überreden, sich einen zu holen. Sie hätte so dringend ärztliche Betreuung gebraucht, aber sie wollte nicht. Sie hatte Angst, von der Sprechstundenhilfe schief angeschaut oder hinausgeworfen zu werden. Sie hatte Angst, dass sie die verordneten Medikamente nicht zahlen kann.“
Jana sieht Vesna an. „Ich kann mich erinnern, wie wir als Kinder einmal krank waren und das mit unserer Aufenthaltsbewilligung noch nicht ganz klar war. Mama hat sich in ein Arztwartezimmer gesetzt und gesagt, sie bleibt hier einfach so lange, bis wir behandelt werden, und basta. – Dabei wollten wir viel lieber heim, wir hatten Angst vor dem Arzt.“
Vesna grinst. „Ich habe Glück gehabt, Sprechstundenhilfe war Furie, aber Arzt total nett. Ich habe dann bei ihm geputzt mehrere Jahre. Auch wie alle Papiere da waren.“
Céline schüttelt den Kopf. „Ich hätte meine Mutter zum Sozialamt schleppen müssen. Und zum Arzt. Ich hätte mich mehr um sie kümmern müssen.“
„Sie wollte, dass du eine große Sängerin wirst“, tröste ich sie.
Céline seufzt. „Was hat das für einen Sinn, jetzt wo sie tot ist?“
„Sie wird von Wolke aus mitsingen“, meint Vesna.
„Wenn man nur daran glauben könnte.“
„Muss man nicht“, sagt Vesna. „Nur an Vorstellung davon.“
„Wisst ihr, dass ich an einer Wiener Version des ‚September Song‘ arbeite? Das Lied hat ihr so gut gefallen. Als ich ein Kind war, hat sie es manchmal gesungen. Und zwei Sängerinnen, die ich für ganz groß halte, erinnern mich bis heute an ihre Stimme: Marianne Faithfull und Lotte Lenya.“
Ich denke an die Speicherkarte und Evelyns „Mercedes Benz“. Das einzige Mal, dass ich sie singen gehört habe. Und wahrscheinlich das einzige Medium, auf dem ihre Stimme erhalten geblieben ist. „So, Liebling, wir gehen jetzt schlafen.“ Daran, wie sie das gesagt hat, erinnere ich mich auch. Verloren.
Céline muss zu einer Gesangsstunde, Jana will shoppen gehen und Jeans für den Herbst finden. Vesna verdreht die Augen, murmelt etwas von: „Hat mehr Hosen, als Kasten groß ist.“ Ich zahle, und während ich aufs Wechselgeld warte, rufe ich die zuständige Polizeistation in Niederösterreich an. Ich hätte gehört, dass mein Mobiltelefon schon gecheckt worden sei. Ob ich es mir holen könne? Ich werde dreimal weiterverbunden. Dann die Frage, woher ich das denn wisse, man habe mich ja noch gar nicht informiert.
„Was ich ziemlich ärgerlich finde“, stelle ich klar. Keine Ahnung, ob ich mit einer Sekretärin oder mit einer Polizeibeamtin spreche. Jedenfalls habe es mir der Leiter der Wiener Mordkommission 1, Dr. Zuckerbrot, persönlich gesagt. Stille in der Leitung. Kein Problem, ich könne mir das Telefon abholen.
Ich habe Vesna gefragt, ob sie mich begleiten möchte. „Du traust dich nicht allein zu Polizei?“, hat sie gefragt.
„Musst ja nicht mitfahren. Wir könnten aber danach vielleicht zu Eva.“
„Du weißt, Winzerlandleben hat mir nicht gefallen.“
„Aber ein Glas Wein in ihrem Innenhof?“
„Überredet.“
Mein Mobiltelefon bekomme ich dann erstaunlich unbürokratisch. Ich muss eine Bestätigung unterschreiben, dass ich mein Eigentum unversehrt übernommen habe, lese sie flüchtig durch, setze meinen Namen darunter. Informationen bekomme ich allerdings keine. Nur so viel könne sie mir sagen, meint die Polizeibeamtin: „Delikte wie der Schlag auf den Kopf, den Sie abbekommen haben, werden nie aufgeklärt. Oder so gut wie nie. Der Tathergang ist zu unklar.“ Sie sieht mich an, als hätte ich
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