Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
noch einmal bei ihr probiert? Ob sie ihn gerufen hat? Und warum gibt mir der Gedanke einen kleinen Stich? Nur weil wir uns gut verstanden haben? Ich bin glücklich mit Oskar. Und ob. Aber es war schon nett, ein wenig von Verhofen umgarnt zu werden.
„Was murmeln Sie?“, fragt Zuckerbrot.
Fange ich etwa wirklich an, in Gegenwart anderer vor mich hin zu reden? Er ist der Zweite, der mir das heute sagt. Mira, so etwas sollte nicht zur Gewohnheit werden, nicht vor deinem neunzigsten Geburtstag.
„Er soll stellvertretender Polizeikommandant werden, nicht wahr?“, lenke ich ab.
„Richtig. Also werden Sie ihn schön in Ruhe lassen. Eine … Freundschaft mit einer ziemlich umtriebigen Reporterin ist das Letzte, was seiner Karriere zuträglich wäre.“
„Sie sind doch auch mit Droch befreundet.“
„Das ist erstens etwas anderes und zweitens will ich nicht Karriere machen.“
„Das ist nichts anderes“, entgegne ich streitlustig. „Ein guter Freund. Er ist ein guter Freund.“
Zuckerbrot grinst.
Ich sehe ihn bittend an. „Kann ich die Speicherkarten mitnehmen, wenn ich verspreche, dass Céline eine Vollmacht schickt?“
Der Kriminalbeamte in der Cordjacke schüttelt den Kopf. Dabei kommt ihm ein Ast des Ficus in die Quere. Er duckt sich.
„Sie mögen keine Grünpflanzen, nicht wahr?“
„Nicht im Büro. In der freien Natur finde ich Grün sehr nett. Wissen Sie, was meine Sekretärin behauptet? Ich brauche Sauerstoff zum Denken, und Pflanzen produzieren Sauerstoff. Ich habe die letzten Jahrzehnte ganz ohne zusätzlichen Sauerstoff eine Menge Fälle gelöst. Wenn Sie ihr das klarmachen könnten, dann kriegen Sie die Speicherkarten.“
Man muss wissen, was aussichtslos ist. Ich schüttle den Kopf und verhandle weiter: „Wenn Céline herkommt, kann sie dann die Speicherkarten mitnehmen oder muss sie zum zuständigen Kommissariat nach Niederösterreich?“
Zuckerbrot überlegt. „Meine Güte. In diesem Fall … der kein Fall ist … wenn sie kommt, dann lasse ich die Sachen von Evelyn Maier zum Portier schaffen und dort kann sie sie gegen Unterschrift abholen. Ich weiß allerdings nicht, ob das Kommissariat noch mehr hat, was abzuholen ist.“
Ich wähle bereits Célines Nummer. Gut möglich, dass hinter dem Tod der Sozialhilfeempfängerin tatsächlich nichts weiter als eine traurige Geschichte steckt. Aber die Speicherkarten möchte ich mir doch ansehen. Ich erreiche Céline auf der Musikuniversität, in einer Stunde kann sie da sein.
„Ich würde ja so gerne noch lange mit Ihnen plaudern, ist ja selten genug, dass wir ein so nettes Gespräch führen, aber ab und zu muss ich doch auch noch ein bisschen arbeiten“, sagt Zuckerbrot.
„Ein interessanter Fall?“, frage ich neugierig. Vielleicht wartet hier eine Story, die so gut ist, dass ich die Secondhandladenbesitzerin vergessen kann.
Zuckerbrot nickt ernst. „Könnte man so sagen.“
Ich hänge an seinen Lippen. Ich darf kein Wort überhören. Viel wird er nicht rauslassen.
„Eine wichtige Besprechung, sogar der Polizeipräsident kommt.“ Kunstpause. „Die Reformierung der Dienstabzeichen.“
Ich schreie empört auf, der Kerl hat mich drangekriegt. Zuckerbrot lacht. Ich lache auch.
„Nein“, sagt er dann, momentan gebe es keine spektakulären Fälle. Taten der Trostlosen. Totschlag zwischen Saufkumpanen. Raub mit Todesfolge. Mann bringt Frau um, weil sie sich von ihm trennen will.
Ich setze mich auf eine Bank vor dem Präsidium und denke nach. Gibt es irgendetwas, das Evelyn Maier gesehen haben und das ihr zum Verhängnis geworden sein könnte? Irgendetwas, das den Polizeibeamten vielleicht nicht aufgefallen ist? Wie sollte es dann uns auffallen?
Céline eilt von der U-Bahn-Station auf mich zu. In Bewegung wirkt sie noch attraktiver. Sängerinnen, die den ganz großen Durchbruch schaffen wollen, müssen heute auch gut aussehen. Dass Célines Augen, Lippen, Nase prägnant sind, ist bei Bühnenauftritten wohl ein zusätzlicher Vorteil. Ich ziehe den Bauch ein. Ich war schon dicker, fünfundsiebzig Kilo sind bei einer Größe von etwas über eins siebzig ganz in Ordnung. Sagt zumindest meine Waage, die neben dem Gewicht auch Körperfett, Wasser und Body Mass Index misst. Ich traue ihr nicht restlos. Vor allem dann nicht, wenn sie überraschenderweise ein Kilo mehr anzeigt, wo ich doch kaum etwas gegessen habe. Wenigstens bekomme ich noch keine grauen Haare. Eigentlich ein Wunder, meint meine Friseurin. Seit sie meine dunklen Haare
Weitere Kostenlose Bücher