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Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi

Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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Bierflasche, kein Schnaps. Ich suche im Kasten, hinter den Kleidungsstücken. Nichts. Auch Céline hat nichts von einem Alkoholproblem gesagt. Ich sehe sogar unter dem Bett nach. Nur noch spärlich dringt Licht herein. Der Kasten, der Ofen, bedrohliche dunkle Objekte. Mir kommt vor, als wäre ich nicht allein. Ich glaube nicht an Geister. Was mache ich hier? Unter dem Bett ist eine kleine Kiste. Flaschen gehen da keine hinein. Ich ziehe sie vor, greife in Spinnweben, unterdrücke einen Schrei. Schuhschachtel. Das abgebildete Modell lässt darauf schließen, dass die Schachtel so alt ist, wie sie wirkt. Siebzigerjahre, tippe ich. Ich öffne sie. Fotos. Es sind nicht viele, vielleicht zwanzig.
    Ich trage alles in die Küche, hier ist es noch etwas heller und nicht so beklemmend. Das beste Licht ist beim Tisch. Zuerst Kinderfotos. Das müssen Céline und Roger sein. Roger mit rundem Gesicht und staunendem Blick in einem roten Autodrom-Auto. Céline, dünn und mit riesigen Augen in einem Erstkommunionkleid. Zwei Passbilder, die eine dickliche Frau mit blonden langen Haaren zeigen, die einmal schön gewesen sein muss. Von ihr bis zu der Evelyn auf den „Liebling“-Speicherkarten war es allerdings noch ein weiter Weg. Dann ältere Bilder. Eines, das wohl ein Profifotograf gemacht hat. Promotionfoto für eine Band. Im Hintergrund ein eher schmächtiger Schlagzeuger. Im Vordergrund ein Keyboardspieler mit langen Haaren und Schnurrbart. Und eine schlanke Frau mit langen blonden Haaren, die eine Gitarre umgehängt hat und lacht. Evelyn Maier. Jung und schön. Eine, die das Leben noch vor sich hat, die große Karriere, das Glück. Ich drehe das Foto um. Vielleicht stehen Namen auf der Rückseite. Nichts.
    Ich nehme das nächste Foto. Es zeigt Evelyn mit dem Keyboardspieler. Sie stehen vor dem Riesenrad und lächeln einander an. Sie strahlend, er verhaltener. Im Hintergrund, mit Zuckerwatte in der Hand, der Schlagzeuger. Dann ein Solobild von Evelyn. Kokett, voller Leben. Hier steht etwas auf der Rückseite. „Weil du bist, wie du bist …“ Wofür stehen die Punkte? „… liebe ich dich“? Ich will es glauben, ich kann es glauben. Ich fühle mich beinahe getröstet. Auch Evelyn hatte also ihre guten Jahre. Die restlichen Bilder: Aufnahmen von Proben der Band, wieder ohne irgendeine Beschriftung. Jetzt ist es so gut wie finster geworden. Zeit, zu gehen. Die Fotos nehme ich mit. Ich werde sie Céline geben. Ob sie die Bilder kennt? Ich klemme mir den Karton unter den Arm, gehe nach draußen, drücke die Behelfstür zu, hänge den Riegel ein. Mein Blick fällt auf die Tür zum Schuppen vis-à-vis. Mir kommt vor, die Brettertür ist zu gewesen, jetzt steht sie einen Spalt weit offen. Unsinn, wer sollte in den Schuppen wollen? Aber wenn sich der Wind hebt … Jedenfalls eine gute Idee, auch hier noch einen Blick reinzuwerfen. Wozu habe ich meine Taschenlampe mit? Vielleicht hat Evelyn im Schuppen Schnapsflaschen versteckt. Vor wem hätte sie die Flaschen verstecken sollen? Ich öffne die Tür und schaue in den spinnwebenverhangenen muffigen Raum. Ich ziehe die Lampe aus meiner Hosentasche. Ich kneife die Augen zusammen, dort drüben ist ein alter Arbeitstisch. Da war etwas. Ein Geräusch. Mira, bitte. Das war eine Maus. Vor Mäusen fürchtest du dich nicht. Ich fingere an der Taschenlampe, finde den Schaltknopf nicht gleich. Ein Scharren. Das ist ein größeres Tier. Endlich. Das Licht der Hochleistungstaschenlampe. Der Tisch erstrahlt wie eine Theaterkulisse im Scheinwerferlicht. Noch einmal ein Geräusch. Ich fahre herum. Am Boden Stroh, gleißend wie im Feuer, und Sekundenbruchteile später ein dumpfer Schlag auf meinen Kopf und kein Licht mehr.
    Als ich wieder zu mir komme, brennt mein Mund. Ich versuche zuerst, die Finger zu bewegen. Sie greifen in etwas Stechendes, Raues, beinahe Stachliges. Stroh. Hat es nicht gebrannt? Das war das Licht meiner Taschenlampe. Irgendjemand hat mich niedergeschlagen. Ich versuche mich aufzurappeln, spüre an der Stirn ein dumpfes Pochen. Ich knie am Boden, im Staub, im alten Stroh und greife mir vorsichtig an den Kopf. Kein Blut. Aber eine enorme Beule, die jederzeit platzen kann. So fühlt sie sich jedenfalls an. Durch die Ritzen der aus groben Brettern gezimmerten Tür dringt ein schwacher Lichtschein. Das Licht der Nacht? Oder ist das Licht dafür zu hell? Wartet da draußen jemand auf mich? Einer, der mich endgültig fertigmachen will? Was bedeutet es, dass mich jemand niedergeschlagen

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