Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
bescheiden und sportlich zugleich. So werden selbst Minister gerne für die größte Wochenzeitung fotografiert. Aber da unsere jungen Mitarbeiterinnen auch lernen müssen, dass man nicht alles glauben darf, was so schön erscheint, habe ich unsere Praktikantin gestern mit einem Fotografen vor das Bundesamtsgebäude geschickt. Und sieh an: Der Herr Minister nahm für die nicht eben lange Fahrt zwischen Ministerium und Bundeskanzleramt doch den Dienstwagen. So haben wir von ihm ein Foto mit Rad und seinem Statement, wie froh er sei, durchs Radfahren seinen eigenen kleinen Beitrag zu Sparprogramm und Klimaschutz leisten zu können, und ein Foto im Dienstwagen samt recherchierter Route.
Insgesamt also ein netter Bericht. Zwei weitere Storys, die mir aus unterschiedlichen Gründen interessant erscheinen, werde ich in der nächsten Redaktionssitzung anbieten: Christian Osthof, Wirtschaftsmeinungsforscher. Und der Baumschneider, von dem ich allerdings noch nicht viel mehr weiß, als dass er gern bunte Kleidung trägt, beinahe zwei Meter groß ist, sehr schnell auf sehr hohe Bäume steigen kann und das jemand anderem nicht passt.
An Exminister Osthof ist Vesna noch immer nicht rangekommen. Seine verstorbene Frau soll zu viel getrunken haben. Das habe man ihr zumindest in dem Delikatessenladen erzählt, in dem die Osthofs seit ewigen Zeiten einkaufen. In seiner Wohngegend gebe es solche Läden noch. Osthof lebe allein, am Vormittag komme eine Frau und mache ihm den Haushalt. Keine Chance, mit ihr ins Gespräch zu kommen, hat Vesna am Telefon gestöhnt. Sie sei arrogant, abweisend und offenbar hinter Osthof her.
Telefon. Es ist nicht der Redaktionsapparat, sondern mein Ersatzmobiltelefon. Das erinnert mich an etwas. Ich muss bei der Polizei nachfragen …
„Gibt es schon Neues? Ich erreiche Frau Krajner nicht.“
Kein Name. Ich sehe auf das Display. Die Nummer kommt mir nicht bekannt vor. Für einen Moment denke ich an den Baumschneider. Aber woher sollte der von mir wissen?
„Sie hat gesagt, ich bekomme regelmäßig Bericht, und jetzt rührt sie sich nicht. Ist sie seriös?“
Tobler. Der Autohändler. „Seriöser als seriöse Autohändler“, erwidere ich.
Er lacht. „Tut mir leid, ich bin ein ungeduldiger Mensch. Natürlich ist Ihre Freundin in Ordnung.“
„Es ist offenbar nicht ganz einfach, an Exminister Osthof heranzukommen“, meine ich.
„Warum Osthof? Sie meinen, der könnte etwas mit Evelyns Tod zu tun haben?“ Pause. „Kann ich mir nicht vorstellen. Sie sollte sich lieber in Evelyns aktuellem Umfeld umsehen.“
„Das hat sie schon getan. Jetzt geht Vesna den Spuren in Evelyns Vergangenheit nach. Gegenwart scheint sie nicht viel gehabt zu haben.“
Tobler schweigt. Ich will schon fragen, ob er noch dran ist, als er sagt: „Wenn es ihr nicht gelingt, zu ihm vorzudringen, vielleicht kann ich helfen.“
Er wirkt auf mich eigentlich recht sympathisch. Kann jemand sympathisch sein, der einen Maybach fährt, während anderen der Strom abgedreht wird? Während anderen nur noch ihr Wertkartentelefon als „Liebling“ bleibt?
„Was ist, kommen Sie?“
Ich bin irritiert. Ich hab ihm nicht zugehört. „Wohin?“
„Na zu meiner Party heute Abend. Sie und ihre Detektivfreundin. Die Party ist im Autohaus.“
Vielleicht will er auf der Lifestyle-Seite des „Magazin“ vorkommen? Besser, ich stelle da gleich etwas klar. „Meinen Sie privat oder als Journalistin?“
„Quatsch, einfach so, privat. Weil ich Sie beide sympathisch finde.“
Was steckt da dahinter? Steckt da was dahinter? Ich müsse erst Vesna fragen und außerdem klären, ob ich einen Termin verschieben könne, antworte ich.
„Wenn Sie da sind, sind Sie da und ich freue mich“, antwortet er. Zehn Minuten später bekomme ich per E-Mail eine Einladung. Das PDF zeigt einen großen pinkfarbenen Cadillac.
Ich treffe Christian Osthof in seinem Büro an der Wirtschaftsuniversität. Er betreibt nicht nur sein Institut ÖKO-POP, sondern ist auch außerordentlicher Professor für Wirtschaftskommunikation. Ich stelle ihm eine Menge Fragen über Krisengewinner und Krisenverlierer und darüber, welche Rolle die öffentliche Meinung bei der Überwindung der Wirtschaftskrise spiele. Ich habe nicht den Eindruck, dass er mich besonders ernst nimmt. Eine Journalistin vom „Magazin“, was kann die schon verstehen? Was kann die schon wollen? Aber da unsere Zeitung ziemlich auflagenstark ist, spult er eben seine Standardantworten herunter,
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