Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
kontert Osthof. „Die beiden waren für ihn schlechte Gesellschaft. Niemand darf das heutzutage ja mehr laut sagen, aber es gibt eben Klassen und es entsteht nichts Gutes, wenn man sie mischt. Das hat man ja dann gesehen. Ich wollte meinen Sohn bloß schützen.“
Vesna nickt. Ich merke, wie es in ihr kocht. „Hauptsache, Klasse und Schein ist gewahrt. So haben Sie auch Idee gehabt, Arme von Sohn zu häckseln.“
Osthofs Augen werden schmal. An seiner hohen Stirn beginnt eine blaue Ader zu pochen. „Es war notwendige Schadensbegrenzung. Nicht ich habe meinen Sohn auf dem Gewissen, das war diese Evelyn. Ich hatte keine Lust, dafür zu büßen. Es sind Wahlen angestanden und parteiinterne Entscheidungen. Ein Selbstmord in der Familie wäre verheerend gewesen.“
„Also ließen Sie Ihren Sohn verstümmeln“, sage ich. „Hat es eigentlich eine Obduktion gegeben?“
„Er war tot“, kommt es zurück, „ein Unfall. Da ist keine Obduktion notwendig. Mein Wort gilt etwas bei den Behörden. Glauben Sie mir, ich mache mir bis heute Vorwürfe. Ich hätte ihn härter anfassen müssen. Durchsetzen müssen, dass er die Band verlässt. Dann wäre er noch am Leben. Ich habe nichts mit dem Tod dieser Evelyn zu tun. Sie war es, die ihn in den Tod getrieben hat.“
„Und jetzt war Zeit für späte Rache“, überlegt Vesna laut.
„Lächerlich. Zwischen meinem Leben und dem Leben dieser Person gab es nur einen einzigen Berührungspunkt. Und der hat sich vor fünfundzwanzig Jahren verloren.“
„Und was ist mit Ihrem anderen Sohn?“, frage ich den Exminister so harmlos wie möglich.
„Der hatte nichts mit dieser Band zu tun. Der war von Anfang an anders. Verantwortungsbewusst. Strebsam. Er hat es ja auch geschafft. Und er hat eine Frau, die zu ihm passt. Claudia kommt aus einer soliden Familie. Sie spielt nicht den Star, sie unterstützt ihn. Sie ist Gymnasialprofessorin, hat allerdings nur eine halbe Lehrverpflichtung, damit sie ihre anderen Pflichten nicht vernachlässigen muss. Ich teile nicht alle Ansichten meines Sohnes. Ich glaube zum Beispiel, dass man zu wenig dereguliert hat, nicht zu viel. Der Markt regelt sich selbst. Die Mischform aus Marktwirtschaft und Sozialismus ist fatal. Und natürlich die Idee, dass Menschen am Wohlstand teilhaben sollen, die ihn nicht erhalten können. Siehe Immobilienkrise in den USA. Mein Sohn denkt manchmal vielleicht zu sozial. Aber er ist einer, der bereit ist anzupacken.“
„Und bereit, aus Händen von kleinem Bruder Mus zu machen“, setzt Vesna nach.
Osthof ist aufgestanden. Vesna hat es übertrieben. Er geht zu ihrem Polstersessel, blickt auf sie herunter. „Sie werden nie verstehen, was es heißt, für eine Familie wie die unsere Verantwortung zu haben. Wie sollten Sie auch?“
Vesna steht auch auf. Sie ist einen Kopf kleiner als der ehemalige Minister. „Natürlich nicht, komm ich doch aus Jugoslawien.“
„Nur aus den falschen Lebensverhältnissen. Es hat immer Jugoslawen gegeben, auf deren Ehre man sich verlassen konnte.“
„Und die daher mit Deutschen gekämpft und eigene Leute verraten haben.“
„Ich war immer gegen Extremismus. Aber gegen alle Formen des Extremismus!“
Ich verfolge den Schlagabtausch und habe das Gefühl, er bringt uns nicht weiter als vor Osthofs gepflegte Eingangstür. Ich kann Vesna verstehen, sehr gut sogar, trotzdem versuche ich die beiden zu bremsen.
„Haben Sie Evelyn nach dem Tod Ihres Sohnes noch einmal gesehen?“, frage ich.
Osthof sieht mich an wie eine Laus. „Nein, das habe ich nicht. Ich habe sie auch vorher nicht gesehen. Ich habe Hubert klargemacht, dass so eine Person in unserem Haus nichts verloren hat.“
„Sie haben ihr kein Geld angeboten?“
Er seufzt und setzt sich wieder hin. „Ich habe diesem Mechaniker hunderttausend Schilling gegeben. Und ich habe ihm gesagt, dass ich diese Sängerin mit fünfzigtausend Schilling unterstützen würde. Aber da hatte sie sich schon ins Ausland abgesetzt.“
„Abgesetzt?“, ich glaube es einfach nicht, dieser Typ verdreht die Wirklichkeit gerade so, wie er es braucht. „Sie war es nicht, die Huberts Selbstmord vertuscht hat. Wie hat eigentlich Ihre Frau …“
„Lassen Sie meine Frau aus dem Spiel“, kommt es scharf zurück. „Sie ist vor einigen Jahren verstorben. Sie hat den Tod unseres jüngeren Sohnes nie verwunden. Und wenn Sie glauben, Sie können diese uralte Geschichte in den Medien hochspielen, dann warne ich Sie: Ich habe noch immer einflussreiche
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