Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
Freunde. Und ich kenne hervorragende Anwälte.“
Vesna ist heimgefahren. Sie muss zu einer Versammlung, es geht um den Abbruch des Wohnhauses, in dem sie lebt. Und arbeitet. Und in dem außer ihr noch acht Familien leben. „Ausgerechnet, wo Immobilienpreise in Keller sind, wollen sie das Haus wirklich abreißen“, hat sie gestöhnt. Oskar hat ihr einen engagierten jungen Anwalt vermittelt. Er soll die Bewohner beraten. Nur dumm, dass die wenigsten von ihnen einen ordentlichen Hauptmietvertrag haben. Seit es vor einigen Jahren den ersten Abbruchbescheid gegeben hat, sind die Wohnungen nur noch befristet und in Untermiete vergeben worden. Ich kurve durch die Villengegend am Stadtrand von Wien, noch einmal am weitläufigen Grundstück der Osthofs vorbei. Dort drüben könnte die Garage gewesen sein, in der die „Three Friends“ geprobt haben. Zu sehen ist freilich nichts mehr davon. Nun steht da ein relativ neues Einfamilienhaus. Das Grundstück steigt an, hinter dem Haus ein kleiner Hügel. Ob Hubert hier gelegen ist? Was braucht es für einen Zwanzigjährigen, dass er sich umbringt? Osthof hat gesagt, er sei „weich“ gewesen. Er hätte ihn härter anfassen müssen. Wenn ich so etwas nur höre. Trotzdem ist es wohl zu einfach, den Vater-Minister allein für den Tod seines Sohnes verantwortlich zu machen. Viel Geborgenheit scheint Hubert allerdings nicht bekommen zu haben. Woran ist eigentlich Frau Osthof gestorben? Im Delikatessenladen hat man Vesna erzählt, dass sie getrunken habe. Ich werde Christian Osthof noch einmal interviewen. Der nächste Teil meiner Serie über die Gewinner der Wirtschaftskrise wird sich mit seinem ÖKO-POP-Institut beschäftigen. Er hat die Arme seines toten Bruders in einen Baumhäcksler gedrückt. Gemeinsam mit Hans Tobler. Ist der nicht mehr verdächtig, nur weil er uns alles erzählt hat? Der Autohändler würde sich jedenfalls nicht so ohne Weiteres erpressen lassen, da bin ich mir seit gestern ziemlich sicher. Der nimmt Angriffe nicht einfach hin. Der hat gelernt, sich zu wehren. Wie weit würde er dabei gehen? Er scheint damit leben zu können, dass der vertuschte Selbstmord ans Tageslicht kommt. Vielleicht höchste Zeit, dass mit der Heuchelei Schluss gemacht werde, hat er gestern beim Abschied gesagt. Alles nur Show? Ich glaube es eigentlich nicht. Und ich glaube auch nicht, dass Evelyn versucht hat, Osthof zu erpressen. Aber vielleicht ihr Sohn Roger? Dem wäre es zuzutrauen, wenn er einen Weg sieht, wie er schnell zu Geld kommen kann. Vielleicht ist ja alles ganz anders miteinander verbunden: Roger hat versucht Osthof zu erpressen. Der scheint auch in reiferen Jahren sehr erpicht auf die Familienehre zu sein. Statt ihrem Sohn Geld zu geben, redet Osthof mit Evelyn und droht ihr, Roger bei der Polizei anzuzeigen. Evelyn bestellt Roger zu sich. Der kommt. Es gibt einen Streit und Evelyn stürzt gegen den Ofen. Immer wieder Roger. Nur weil er keine regelmäßige Arbeit hat und vielleicht auch gar keine möchte? Weil er aus jener Klasse kommt, auf die Osthof herabsieht? Gerade dass er das Wort „minderwertig“ nicht in den Mund genommen hat. Die Idee mit Roger hat aber einen Haken: Woher hätte er von Huberts vertuschtem Selbstmord wissen sollen? Er scheint sich nicht besonders für das Leben seiner Mutter interessiert zu haben.
Ich fahre in die Redaktion. Am Samstag ist sie nur spärlich besetzt. Das neue Heft ist erschienen, wer jetzt arbeitet, ist an einer größeren Story für nächste Woche dran. Noch ohne besonderen Druck zu haben. Ich setze mich in meine grünpflanzenbeschirmte Ecke des Großraumbüros und schreibe Fakten zusammen: ein Dokument mit dem, was wir an Motiven und Verdächtigen rund um den Tod von Evelyn Maier haben, ein Dokument mit dem ersten Entwurf zu einer Story über Christian Osthof. Im Vergleich zu seinem Vater ist er ein regelrechter Linker. Aber das sind wohl neunundneunzig Komma fünf Prozent der Bevölkerung. Ich werde Osthof junior in seinem Institut besuchen. Seine ersten Antworten waren mir zu schablonenhaft. Zu wenig persönlich. Ich werde die Reportage über Osthof und sein ÖKO-POP aufteilen: Ein Interview mit ihm als Wirtschaftsprofessor. Das kann ich eigentlich schon schreiben. Und ein Bericht über das Institut. Wenn ans Licht käme, dass er daran beteiligt war, den Selbstmord seines Bruders zu vertuschen, wäre das seinem Image nicht gerade förderlich. Ich öffne das Dokument über den Tod von Evelyn und füge einen Verdächtigen
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