Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
interimistischer Chefredakteur so laut, dass es ganz sicher jede und jeder im Großraumbüro hören kann. Natürlich drehen sich einige nach uns um. Es ist allgemein bekannt, dass wir einander nicht leiden können. Und wer will sich schon einen schönen Streit entgehen lassen? Zumal in dieser Branche, die ja doch Neugier zu einer Art Berufsvoraussetzung hat.
„Ich nehme an, es geht in Ordnung, wenn ich fürs nächste Heft Osthof porträtiere.“
Was will der Typ von mir? Ein Exempel wegen Fernbleibens von der Redaktionssitzung statuieren? Das hier ist keine Militärbasis, mein Lieber.
„Osthof hat den Verdacht, dass es nicht um die Firma geht.“
Sieh an, daher weht der Wind. Ich blicke ihn so belämmert wie möglich an. „Waas?“
„Tun Sie nicht so. Sie sind hinter einer unappetitlichen Geschichte her. Der Minister hat Grund zur Annahme, dass Sie den fürchterlichen Tod seines Sohnes neu aufrollen wollen.“
„Erstens ist er Exminister“, sage ich jetzt schon ein wenig lauter, „und zweitens wird es schon einen Grund haben, dass er gleich zu intervenieren versucht. Abert das ‚Magazin‘ lässt sich so etwas ja zum Glück nicht gefallen.“ Ich dränge mich am Chronikchef vorbei. Ich habe keinerlei Lust, ihm mehr zu erzählen.
Er packt mich am Arm. „Aber ich bin für die Seriosität unserer Zeitung verantwortlich. Und ich werde es nicht dulden, dass ein ehrenwerter alter Herr in den Dreck gezogen wird.“
„Indem ich berichte, dass sein Sohn ein florierendes Unternehmen hat? Kann ich irgendwie nicht ganz nachvollziehen. Vielleicht ist er nicht mehr ganz klar im Kopf, der ehrenwerte alte Herr.“
„Ich kann Sie nur warnen. Osthof ist hoch angesehen. Und er hat beste Kontakte. Allein in der Verbindung …“
Du liebe Güte, daran habe ich gar nicht gedacht. Der Chronikchef und Osthof sind in derselben Studentenverbindung. Der Dünger, mit dem Freunderlwirtschaft und Haberertum in Österreich noch üppiger blühen und gedeihen.
Vesna erreiche ich nicht, also schicke ich ihr eine ausführliche E-Mail, die ich dann gleich auch im Ordner zum Tod von Evelyn Maier abspeichere. Schön langsam wird mein Dossier umfangreich.
Da scheint sich ein neuerlicher Tumult im Großraumbüro anzubahnen. Offenbar fordere nicht nur ich die Autorität des zeitweiligen Chefredakteurs heraus. Lächerliches Männchen mit Sonnenstudiobräune. Ich linse durch die Blätter meines Riesenphilodendrons. Leider sehe ich auf die Entfernung nicht besonders gut. Da scheint sich jemand zu beschweren. Fred von der Sportredaktion deutet in meine Richtung. Oje. Nicht schon wieder ich. Ich ducke mich. Pech gehabt. Fred kommt mit jemandem neben sich auf mich zu. Ich blinzle. Den kenne ich. Das ist Hans Tobler. Er winkt zu mir herein, bleibt ganz brav vor der Blättersperre stehen. Fred durchdringt den Dschungel und steht neben mir. „Er will mit dir reden und ist einfach am Empfang vorbeigegangen. Die haben wieder einmal nicht aufgepasst. Und als sie ihn da im Büro aufgehalten haben, wollte er nicht noch einmal hinunter und sich anmelden. Ich hab ihn zum Glück erkannt. ‚US-Speed‘. Das Autohaus Nummer eins, wenn es um amerikanische Autos geht.“ Ich bedanke mich, winke Tobler zu mir herein und schiebe ihm meinen zweiten Sessel hin.
„Hab ja nicht gewusst, dass es hier zugeht wie im Hochsicherheitstrakt“, sagt er. „Ist doch irgendwie übertrieben, oder?“
Ich nicke beschwichtigend. „Aber ab und zu gibt es eben Irre, die dann schwer zu entfernen sind. Wir haben keine Bodyguards.“
Er grinst. „Den jungen Mann, der mich hergebracht hat, den könnte man schon ausbilden.“
Ich werde es Fred ausrichten, der freut sich darüber.
„Ich wollte dich bloß warnen“, sagt Tobler. „Ich glaube, ich weiß jetzt, wer hinter dem Tod von Evelyn steckt.“ Kunstpause. „Osthof.“
Ich seufze. „Er hat gerade versucht, gegen mich zu intervenieren.“
„Er war bei mir“, setzt Tobler eilig fort. „Er hat mir erzählt, dass ‚diese Journalistin‘ alles weiß – ‚diese Journalistin‘, das bist natürlich du – und dass ich dich sofort mit meinen ‚Kontakten und Methoden‘ einschüchtern soll.“
Offenbar vertraut er doch nicht allein auf die Hilfe der Kommilitonen aus seiner Studentenverbindung. „Wie sehr?“, frage ich nach.
„So sehr ‚es notwendig ist‘. Genau so hat er es gesagt.“
„Mit welchen Methoden?“, insistiere ich.
Tobler schüttelt den Kopf. „Da wüsste ich besser Bescheid als er, hat er
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