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Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)

Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)

Titel: Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avery Williams
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den Fotos entgegen, strahlend vor Leben.
    Ich betrachte meinen neuen Körper im Spiegel und runzele die Stirn. Seit ich zum ersten Mal starb, war ich kein Teenager mehr, und es fühlt sich seltsam an. Meine Augen sind graugrün, mit langen, dichten Wimpern, meine Haarfarbe changiert von hellbraun zu glänzendem Gold, wo die Sonne es ausgeblichen hat. Es fällt mir in weichen Locken bis zur Schulter, ein paar kürzere Strähnen fallen mir in die Stirn. Meine Nase ist für meinen Geschmack ein wenig zu keck, die Lippen haben einen dunklen Korallenton, der sich deutlich von Kaileys gebräunter Haut abhebt.
    Zwischen dem Gesicht im Spiegel und dem Gesicht auf den Fotos besteht kein wahrnehmbarer Unterschied, nichts, woran ich mit Bestimmtheit festmachen könnte, dass sich etwas geändert hat. Dennoch habe ich den Eindruck, nicht wie dieses lächelnde Mädchen auszusehen, das Kailey war.
    »Was soll ich jetzt nur tun?«, frage ich die Fremde im Spiegel. »Bleibe ich du? Oder gehe ich zurück zu den Kränen und springe?«
    Kailey gibt mir keine Antwort.
    Die Entscheidung zu sterben war leicht, als mein Körper zu versagen begann. Wenn ich meinen ursprünglichen Plan weiterverfolge, werde ich mit Vorsatz einen Menschen umbringen. Doch wenn ich meinen Plan ändere, wohin soll ich dann gehen? Ich habe keine Bindungen an die Welt, keine richtigen Fähigkeiten. Cyrus hat immer dafür gesorgt, dass ich in allem von ihm abhängig war.
    Ich reiße mich von dem Anblick im Spiegel los. Das Wichtigste ist jetzt, abgesehen von der Tasche, Cyrus. Mittlerweile muss er wissen, dass ich davongelaufen bin. Wird er meinem Brief Glauben schenken, oder wird er sich fragen, ob ich immer noch irgendwo da draußen bin, allein, weit weg von ihm? Er kennt mich so gut, dass er selbst meine Träume vorhersagen konnte. Wird er instinktiv wissen, was geschehen ist? Wird er meine Anwesenheit spüren und nach mir suchen? Wird er eine Meldung in der Zeitung lesen über einen Unfall und sich fragen, ob ich in einem fehlgeschlagenen Versuch, einen Teenager zu retten, ihren Körper für mich beansprucht habe? Cyrus ist alles zuzutrauen. Wieder zurück zu den anderen geschleift zu werden, ist allerdings das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann. Ich wäre unter ständiger Überwachung. Cyrus würde es mich bitter büßen lassen, dass ich ihn hinters Licht geführt habe.
    Auf dem Schreibtisch steht ein Laptop. Ich fahre mit dem Finger über das Touchpad, und ein Browserfenster wird auf dem Bildschirm sichtbar. Ich rufe die Webseite des San Francisco Chronicle auf. Es gab viele Morde und Autounfälle in Oakland am Wochenende, und glücklicherweise kann ich nichts über Kaileys Unfall finden.
    Ich rufe Google auf und tippe »Jack London Autounfall« in das Suchfeld, was mir jede Menge Treffer einbringt. Nachdem ich das Datum eingegrenzt habe, bleibt nur noch einer übrig.
    Eine kurze Meldung aus dem Polizeibericht auf der Seite der Oakland Tribune: »16. Oktober, 0:38 Uhr, Alice und Second Street, Oakland: Die Polizei wurde zu einem Autounfall gerufen, in den eine Minderjährige verwickelt war. Es gab weder Tote noch Verhaftungen.« Ich atme erleichtert aus – die Meldung ist absolut unauffällig.
    Google Maps zeigt mir an, dass es von hier nur zwei Meilen bis zur BART-Station Downtown Berkeley sind, von wo aus es eine direkte Verbindung in die Innenstadt von Oakland gibt. Während ich die Karte betrachte, sehe ich, dass die Berkeley High School sich genau neben der BART-Station befindet.
    Kaileys Rucksack liegt auf dem Schreibtisch, gleich neben ihrer Handtasche. Rasch gehe ich den Inhalt durch, behalte den Geldbeutel und das Handy, schalte jedoch das GPS aus. Außerdem nehme ich mir Kleidung zum Wechseln und aus einem Impuls heraus einen breitkrempigen Hut und eine Sonnenbrille mit übergroßen Gläsern.
    Ein Klopfen an der Tür schreckt mich auf, und ich kann gerade noch ins Bett schlüpfen, bevor Kaileys Vater mit einem Tablett auf dem Arm ins Zimmer tritt. Er sieht immer noch müde aus, doch der besorgte Gesichtsausdruck aus dem Krankenhaus ist verschwunden. Er weiß nicht, dass seine Tochter tot ist. Er glaubt, alles würde wieder gut werden.
    »Deine Mutter hat mich gebeten, dir dein Abendessen zu bringen. Tortillasuppe, dein Lieblingsgericht.«
    »Oh … danke«, erwidere ich zögernd, weil ich mich frage, was die echte Kailey wohl geantwortet hätte.
    »Hör mal, Kleines.« Er setzt sich zu mir aufs Bett. »Du musst uns nicht erklären, wo du

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