Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)
Docks, und es ist sicher einfacher, zwischen zwei Schulstunden wegzulaufen, als Mrs. Morgans aufmerksamen Augen zu entkommen.
Ich bringe ein schwaches Lächeln zustande. »Ich glaube, ich sollte doch in die Schule. Es geht mir gut, wirklich.«
Bryan steckt den Kopf durch die Tür, eine Scheibe Toast in der Hand. »Du willst wirklich in die Schule? Elende Streberin.«
»Ja, ich würde gern gehen«, erkläre ich ihm.
»Ich weiß«, antwortet er grinsend. »Ich ziehe dich doch bloß auf.«
Mrs. Morgan blickt zögernd zwischen uns hin und her. »Okay, du kannst gehen. Aber zuerst isst du etwas. Ich werde dir ein Frühstück machen.« Sie läuft zurück in die Küche.
Kaileys Bruder will ihr folgen.
»He, Bryan.« Ich setze mich auf.
»Ja, Eure verwöhnte Hoheit?«
»Könntest du bitte … niemandem in der Schule von dem Autounfall erzählen? Ich will nicht, dass sich das herumspricht.«
Bryan wirkt schockiert. »Ich dachte immer, dein Lebensziel wäre es, im Rampenlicht zu stehen.«
Ich fühle, wie meine Wangen heiß werden. »Ich will keine große Sache daraus machen.«
Er starrt mich an. »Du wirst ja rot.«
Ich wende mich ab. Ich bin schon immer leicht rot geworden, egal, welchen Körper ich bewohne.
»Bryan, bitte.«
»Okay, was immer du willst, du Spinnerin.« Er schiebt sich den restlichen Toast in den Mund.
Nachdem er zurück in die Küche gegangen ist, suche ich in Kaileys altmodischem Kleiderschrank nach etwas zum Anziehen. Er riecht nach geöltem Kirschholz und Waschmittel, die ordentlich aufgehängten Kleidungsstücke sind nach Farben sortiert, wie auf der Palette eines Künstlers.
Ich frage mich, was sie sich wohl aussuchen würde, streiche mit der Hand über einen lilafarbenen Kaschmirpullover und ein Kleid in dunklem Purpurrot mit einem blauen geometrischen Muster. Letztendlich entscheide ich mich für eine abgeschnittene rostfarbene Jeans und eine burgunderfarbene Tunika mit Spitzenbordüre. Der Geruch nach Jasmin hat sich tief in dem Stoff festgesetzt, und jeder Atemzug erinnert mich daran, wessen Kleidung ich trage.
Ich schlinge gerade das Frühstück herunter – Spiegelei mit Geflügelwürstchen –, als Bryan in die Küche kommt.
»Wir müssen los. Ich glaube, ich habe Noahs Auto in der Einfahrt gehört.«
Noah. Ob das der Nachbarjunge ist? Ich nehme Kaileys Rucksack und mustere Mrs. Morgan. Ihr Haar ist zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebunden, und die dunklen Schatten unter ihren Augen sind verschwunden.
Nach kurzem Zögern umarme ich sie. »Ich liebe dich«, sage ich leise und wünsche mir, ich könnte ihren Schmerz lindern, wenn ihre Tochter heute Abend nicht nach Hause zurückkehrt.
»Ich liebe dich auch, Kailes«, erwidert Mrs. Morgan leicht verwundert. Sie küsst mich auf die Wange und scheucht mich zur Tür hinaus.
Bryan wartet schon ungeduldig neben Noahs altem VW Käfer. »Na endlich«, sagt er und deutet auf den Rücksitz. »Invaliden müssen hinten sitzen«, erklärt er grinsend.
Ich spüre Noahs Blick auf mir, als ich in den Wagen klettere. Im Sonnenlicht sind seine Augen von einem warmen Türkisblau, wie bei Cyrus zwei Körper vor seinem jetzigen. Ich schnalle mich an. Die Jungs füllen zum Glück die Stille aus und ignorieren mich, auch wenn ich Noah öfter dabei erwische, wie er mich im Rückspiegel beobachtet. Ich lehne die Stirn an das kalte Fenster und lasse das Gespräch der Jungs an mir vorüberziehen, während ich stumm bete, dass meine Tasche immer noch auf dem Kran liegt.
Wir fahren an einer Reihe kleinerer Häuser vorbei – den Craftsman-Häusern mit ihren Spitzdächern und einem gedrungenen mit Schindeldach, das besser ans Cape Cod gepasst hätte. Wildblumen wachsen ungezähmt im Garten, Wilde Möhre, vermischt mit hellgelben Goldruten und lilafarbenem Salbei. Meine Mutter hätte es geliebt. Mein Vater hat ihr einen kleinen Abschnitt in unserem Garten zugestanden, den die Dienstboten nicht betreten durften. Zahllose Stunden hat sie dort verbracht und mir die lateinischen Namen der Pflanzen beigebracht: lilium, rosa, cosmos und orchis. Sie hat mir Kränze aus Gänseblumen und Belladonnalilien geflochten und mich immer davor gewarnt, wie gefährlich Blumen sein können. »Steck dir die hier niemals in den Mund, mein kleiner Engel. Auf deinem hübschen Haar richten sie dagegen keinen Schaden an.«
Kurz darauf biegen wir auf den Parkplatz der Schule ein und reihen uns in die Schlange der alten Autos ein, die alle nach einem Stellplatz nahe
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