Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)
Glasscherben aufzusammeln.
»Äh, niemand. Bin gleich wieder da.«
Ich eile in den vorderen Ladenbereich, um den Kunden zu bedienen. Es handelt sich um zwei Mädchen, die sich über eine der Schmuckvitrinen beugen.
»Kann ich euch …«, beginne ich, unterbreche mich aber sogleich, als ich Nicole erkenne. Ihr Gesichtsausdruck sagt mir, dass sie mich auch nicht erwartet hat. Das andere Mädchen kenne ich nicht.
»Hallo, Nicole«, begrüße ich sie so freundlich wie nur möglich.
»Hallo.« Ihre Stimme ist ausdruckslos, als sich ihre Augen weiten.
Ich drehe mich um und sehe, wie Noah sich nähert. Das Lächeln auf seinem Gesicht erlischt, als er Nicole erblickt.
»Kailey, ich muss jetzt los. Danke, dass du mich rumgeführt hast. Schön, dich zu sehen, Nicole.« Er packt seine Kapuzenjacke und verschwindet durch die Eingangstür.
Die Türglocke klingelt immer noch, als Nicole tief einatmet. »Ich kann es einfach nicht glauben, Kailey«, zischt sie. »Du bist so was von manipulativ.«
Ich bin verblüfft. »Wie bitte?«
»Du weißt ganz genau, wovon ich spreche!« Röte steigt zwischen ihren Sommersprossen auf, und sie wirft zornig ihr Haar zurück. »Zuerst befiehlst du mir, ich soll mich ja von deinem Bruder fernhalten, und erzählst mir, du könntest es nicht ertragen, wenn eine deiner Freundinnen mit ihm ausgeht, und jetzt verkuppelst du ihn und Leyla geradezu.«
»Äh …« Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll, aber da wütet sie auch schon weiter.
»Zu allem Überfluss treibst du jetzt auch noch mit Noah deine Spielchen, weil du genau weißt, dass ich ihn mag! Du kennst ihn seit Jahren und hast ihn so gut wie nie beachtet, geschweige denn in der Schule mit ihm geredet. Und kaum mag er mich, hältst du es nicht aus. Du musst einfach immer im Mittelpunkt stehen, nicht wahr? Aber du willst doch nur, was du nicht haben kannst. Es ist so offensichtlich, dass du ihn bloß um den Finger wickeln willst, um mich zu verletzen.«
Ich bin zutiefst getroffen und komme mir vor, als hätte sie mir eine Ohrfeige verpasst. Mag Noah Nicole wirklich?
»Du musst nichts sagen, Kailey«, fährt sie fort und kommt auf mich zu. »Wir sind ja nicht einmal mehr Freunde, falls wir es je waren. Es ist mir also egal, was du zu sagen hast. Aber«, ihre Augen blitzen kampflustig auf, »halt dich von Noah fern. Sonst …«
Bevor ich antworten kann, dreht sie sich auf dem Absatz um und verlässt den Laden. Die Glocke schwingt heftig, als sie die Tür hinter sich zuschlägt.
Kapitel 21
A u! Kailey, pass doch auf!«, schreit Bryan.
»Tut mir leid«, entschuldige ich mich, als ich merke, dass ich ihn mit der Spitze meines Eyeliners gestochen habe. Seit Nicole mich im Antiquitätenladen angeschrien und Noah für sich beansprucht hat, bin ich zerstreut.
»Keine Panik.« Er betrachtet sich im Spiegel und grinst verzückt. »Es ist widerlich. Ich bin total begeistert.«
Ich trete einen Schritt zurück und betrachte mein Werk. »Grauenvoll.« Mit einer Palette Theaterschminke und Weichplastik bewaffnet, habe ich Bryans Gesicht in eine wahre Horrorlandschaft verwandelt. Stirn und Nase sehen aus, als ob sie verfaulen, ein Augapfel springt aus der Augenhöhle und verschmilzt mit seiner Wange. Ich weiß jetzt schon, dass Leyla in Ohnmacht fallen wird.
»Mehr Blut?«, fragt er und furcht die Stirn.
»Ich finde es gut so.«
»Nicht ein winziges bisschen mehr? Hier, neben dieser Wunde ist noch eine Lücke.« Er beugt den Kopf, um die realistisch aussehende Verletzung an seinem Hals besser begutachten zu können.
Ich seufze. »Gut, aber dann sind wir fertig. Das ist schließlich mein Meisterwerk«, rufe ich ihm in Erinnerung und tröpfele ihm noch etwas Kunstblut auf den Hals.
Zufrieden sieht er zu, wie es in seinen Hemdkragen läuft.
»Ich habe echt Glück, eine so begabte Künstlerin als Schwester zu haben«, sagt er.
»Danke«, antworte ich weich, und ein Schmerz durchzuckt mich. »Viel Spaß auf der Party, und grüß alle von mir.«
»Werde ich«, verspricht er.
Wir gehen ins Wohnzimmer, wo Mr. und Mrs. Morgan Cider trinken und Süßigkeiten an die Miniaturhexen, Piraten und Prinzessinnen verteilen, die an der Tür läuten. Ich bewundere Bryan noch einmal, als er sich auf den Weg macht, ich dagegen bin nicht gerade in Feierlaune.
Ich gehe in den Garten hinaus. Die Nacht ist wolkenlos und hell, das runde Gesicht des Mondes blickt stetig und beruhigend herab. Aber der Wind liefert die nötige gespenstische Atmosphäre,
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