Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)
Unterschied zu meinem Seidenkleid.
»Kailey! Ich dachte, du hast immer noch Hausarrest!« Leyla umarmt mich fest und verschüttet dabei etwas von ihrem Bier auf meinem Ärmel. Sie trägt ein himbeerfarbenes Lochmusterkleid über kirschfarbenen blickdichten Strumpfhosen. Ihr toupiertes Haar ist hochgesteckt, nur einige lose pinkfarbene Strähnen fallen ihr auf die Schultern. Sie sieht aus wie ein kitschiger Valentinstagsgruß.
»Habe ich auch«, erkläre ich an ihrem Hals.
»Ich habe sie da rausgeholt«, fügt Bryan mit funkelnden graugrünen Augen hinzu.
»Du bist wie Robin Hood, der mir meine beste Freundin bringt«, erklärt Leyla, während sie mich loslässt.
Bryan runzelt die Stirn. »Hat Robin Hood Leute aus dem Gefängnis befreit?«
Leyla zuckt mit den Schultern und nippt an ihrem Bier. »Wir sind hier schließlich im Wald, oder? Los, holen wir euch was zu trinken.«
Sie nimmt Bryan an der Hand und führt ihn in die Küche. Er dreht den Kopf nach mir um und wirft mir einen Blick zu, der besagt, »die Frau spinnt«, doch er wirkt ganz und gar nicht unglücklich. Ich folge den beiden zu dem großen Bierfass, wo mir jemand einen roten Plastikbecher in die Hand drückt, den ein fremder Junge mit Bier füllt.
»Hallo, Kailey«, sagt er.
»Hey.« In den paar Tagen, seit ich Kailey bin, habe ich es als das für mich wertvollste Wort erkannt.
Bryan und Leila unterhalten sich immer noch, und leicht amüsiert stelle ich fest, dass ich das fünfte Rad am Wagen bin. Sie mag ihn ganz offensichtlich, und ihre Gefühle werden vielleicht sogar erwidert.
Langsam trinke ich mein Bier und genieße das Kitzeln in der Speiseröhre und im Magen. Auf der anderen Seite des Raumes sehe ich Noah beim Spülbecken stehen. Er spricht mit einem Mädchen, das mit dem Rücken zu mir steht, doch ich erkenne das lange, glänzende braune Haar sofort. Nicole. Für einen Moment hebt er den Blick, als ob er merkt, dass ich ihn beobachte, und lächelt mir zu. Er streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr, und mir wird plötzlich klar, wie gut er aussieht.
Überrascht merke ich, wie mein Herz gegen meinen Brustkorb hämmert. Ich versuche, das Lächeln zu erwidern, spüre jedoch, wie mir die Röte ins Gesicht steigt, weshalb ich ihm nur knapp zunicke und mich schnell umdrehe. Ich tue beschäftigt und mustere ausgiebig den Rand meines Plastikbechers. Sonst entdecke ich kein bekanntes Gesicht in der Küche, weshalb ich die gläserne Schiebetür öffne und nach draußen gehe.
Der Wald beginnt direkt hinter dem Haus, wo Mammutbäume hoch in den Himmel aufragen. In einigen Metern Entfernung zum Haus, auf einem farngesäumten Pfad, brennt ein riesiges Lagerfeuer. Eine Band spielt akustische Musik, die an das fahrende Volk erinnert. Ich gehe hinüber.
Das Mädchen am Akkordeon, dessen Dreadlocks zu zwei Zöpfen zusammengebunden sind und das eine Kunststoffblume am Hosenträger befestigt hat, wird von zwei Jungen begleitet. Einer trägt einen zerknautschten Cowboyhut und spielt Geige, der andere hat geweitete Ohrläppchen, eine rasierte Glatze und spielt Banjo. Sie tragen gerade den Song »Friend of the Devil« von Grateful Dead vor, allerdings viel langsamer als das Original, und ich erkenne, dass das Lied gar nicht fröhlich ist, sondern eine Klage.
Set out runnin’, but I take my time.
Amen, denke ich.
Neben dem Feuer liegt ein großer Baumstamm, auf den ich mich setze und in die Flammen schaue. Chantal nähert sich, gefolgt von Madison, und ich muss lachen, wie unterschiedlich die beiden sind. Chantal hat die Haare zu einem ordentlichen Knoten im Nacken zusammengesteckt und trägt einen makellosen hellblauen Wollmantel. Sie setzt sich vorsichtig neben mich und winkt Madison zu uns. Madisons Haare sind zerzaust und hängen ihr ins Gesicht; sie wirft sie zurück, als sie eine Flasche aus ihrer Lederjacke hervorzieht. Sie grinst Chantal zu, die sich immer noch unwohl zu fühlen scheint.
»Entspann dich, Chantal. Dein Mantel darf ruhig ein wenig schmutzig werden.« Madison nimmt einen Schluck aus der Flasche und bietet sie mir an.
»Halt die Klappe, Maddy«, sagt Chantal liebevoll. »Was ich nicht alles für ein schönes Lagerfeuer ertragen muss.« Sie seufzt.
Madison stupst sie an. »Jetzt tu nicht so. Du wolltest schließlich rausgehen und schauen, ob Dawson hier ist.« An mich gerichtet, erklärt sie: »Keiner hat ihn gesehen.«
»Kannst du es mir verdenken? Er ist einfach hinreißend«, erklärt Chantal und streicht ihr Haar
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