Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)
keinen bestimmten.«
Mein Herz beginnt zu hämmern. Ich will, dass er mich küsst. Ich will, dass er mir mit den Händen durchs Haar fährt, ich will sein schlagendes menschliches Herz an meinem gestohlenen fühlen. Der Gedanke ist unerwünscht, aber nicht unbekannt, wie ich zugeben muss. Und er jagt mir eine Heidenangst ein.
»Was meinst du damit?«, frage ich leise.
Er lächelt. »Kailey, das ist doch klar, oder?«
»Ist es das?« Mein Mund möchte es seinem gleichtun, aber ich unterdrücke das Lächeln.
Er zieht die Schultern hoch, vergräbt die Hände tiefer in den Taschen. »Wir sind schon lange Freunde. Auch wenn du nicht immer nett zu mir warst. Das ist okay, es ist mir egal.«
Ich sehe ihn unbeirrt an. »Ich glaube dir nicht.«
»Du hast dich irgendwie verändert. Etwas …« Seine Stimme verliert sich, und er zieht die Hände aus den Jackentaschen. »Ich muss immerzu an dich denken«, fährt er fort. »Und ich hoffe, dass ich unsere Freundschaft nicht kaputt gemacht habe, indem ich dir das sage.«
»Hast du nicht«, erwidere ich leise, als er mich endlich wieder ansieht.
Unsere Blicke begegnen sich, der Wind verstummt für ein paar Sekunden. Manchmal können Sekunden sehr lang sein.
Und dann.
Dann küsst er mich endlich, und mit einem Mal erscheint mir alles so richtig. Da ich dank des neuen Körpers stark bin, mache ich mir keine Sorgen, wie bei Kailey die Kontrolle zu verlieren, als ich sie zu retten versuchte. Stattdessen schließe ich die Augen, stelle mir vor, wie der Wind durch die Blumen weht und der Mond seine Strahlen auf diese türkisfarbenen Augen unter den dichten Brauen wirft, sehe die Kapuze vor mir, unter der er sein rabenschwarzes Haar versteckt.
Ich spüre, wie er die Hand zögernd an meine Wange hebt, und berühre seinen Arm. Ich mag vielleicht nur ein Geist sein, aber meine Lippen fühlen sich warm an seinen an. Der alte Mammutbaum seufzt zufrieden.
Ich lehne mich zurück und betrachte sein Gesicht. Es ist anders. Mir wird klar, dass seine Augen sonst immer traurig sind und dass sein lässiges Auftreten diese Traurigkeit verbirgt. Jetzt sind sie genau das Gegenteil.
Er berührt meine Wange und sagt: »Wir haben Zeit.« Dann legt er sich auf den Rücken und blickt zu den Sternen.
Still lege ich mich neben ihn und lächele in der Dunkelheit.
Zeit. Das College, Kailey, hatte Mrs. Morgan gesagt. Noch zwei Jahre. Für einen Wiedergeborenen ist diese Zeitspanne bedeutungslos. Aber wenn es Menschen gibt, denen man wichtig ist, die einem etwas bedeuten, dann zählt jeder Tag.
Vielleicht, nur vielleicht, bleibe ich ja bis dahin hier.
Kapitel 22
A m nächsten Morgen wache ich mit einem Lächeln auf den Lippen auf. Am liebsten würde ich im Bett liegen bleiben und an Noah denken, trotzdem gehe ich hinüber in die Küche und frühstücke. Mrs. Morgan erinnert mich daran, dass Bryan schon beim Football-Training ist. Das bedeutet, dass Noah und ich allein zur Schule fahren werden. Kleine, glitzernde Schmetterlinge flattern in meinem Bauch umher, und ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken.
»Du hast ja mal sehr gute Laune«, bemerkt Mr. Morgan amüsiert.
Ich ziehe mein übliches Outfit aus Jeans und Pullover an, bin jedoch nicht zufrieden. Ich sehe langweilig aus, nicht wie ein Mädchen, das im Halloween-Wind geküsst wurde. Ganz hinten in Kaileys Schrank finde ich ein weißes Häkelkleid, bei dem ich mich fühle, als sollte ich im Weichzeichnerlicht auf einer Wiese Gänseblümchenketten basteln. Schon besser. Ich lege sogar Lipgloss und Mascara auf. Make-up brauche ich definitiv nicht. Kurz überlege ich, ob ich etwas von Kaileys Jasminparfüm nehmen soll, entscheide mich aber dagegen. Das gehört zu Kailey. Das Geräusch der Klingel lässt mich aufblicken.
»Kailey«, ruft Mrs. Morgan durch den Flur, »Noah ist hier!«
Ich höre eine Mischung aus Verwirrung und Freude in ihrer Stimme – Noah hält sonst einfach am Straßenrand und wartet auf mich und Bryan. Ich werfe einen Blick aus dem Fenster und sehe zwar sein Auto, ihn aber nicht. Jetzt nur nicht rot werden!
Dann packe ich Kaileys Rucksack und zwinge mich, langsam in die Diele zu gehen, wo Noah unbeholfen neben Mrs. Morgan steht und einen Becher von Peet’s Coffee in der Hand hält. Statt der üblichen Kapuzenjacke trägt er einen Cordblazer, der seine breiten Schultern betont.
»Das ist ja mal ein nettes Kleid, Schatz«, sagt Mrs. Morgan. »Du solltest es öfter anziehen.«
»Ja, du siehst sehr hübsch aus«,
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