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Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)

Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)

Titel: Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avery Williams
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unterwegs. Die Männer sind im Club. Wollen wir uns später zusammen fertig machen?
Char

    Ich nippe an meinem Kaffee und genieße die Wärme, die durch meinen Körper strömt. In Cyrus’ und meinem Badezimmer stehe ich vor dem Spiegel, lasse den Morgenmantel zu Boden fallen und betrachte mich emotionslos. Ich bin viel zu dünn, die Rippen treten deutlich hervor, und unter den Schlüsselbeinen liegen dunkle Höhlen. Ich sehe krank aus. Schwach. Dennoch verziehen sich meine spröden Lippen zu einem Lächeln. Sterben ist das Tapferste, Menschlichste, was ich in den sechshundert Jahren getan habe.
    Nach einer heißen Dusche ziehe ich meine grüne, abgewetzte Lieblingshose und einen flauschigen Kapuzenpulli an und gehe in die Bibliothek. Sie ist verschlossen – niemand von uns hat es bisher gewagt, sie ohne die Erlaubnis von Cyrus zu betreten –, doch ich weiß, wo er den Schlüssel versteckt.
    Die Bibliothek ist der einzige Raum im Haus, der nicht glatt und modern ist. Bücherregale bedecken die Wände vom Boden bis zur Decke. Sie enthalten ein Durcheinander aus handgebundenen Werken, genähten koptischen Buchrücken und uralten ledergebundenen Folianten. Ein Perserteppich in Rot und Türkis bedeckt den Boden, ein Souvenir aus dem Jahr, das wir im Iran verbracht haben. Das Zimmer riecht nach altem Papier und einem Hauch von Cyrus’ Seife, Vetiver und Zedernholz.
    Das ist seine ganz persönliche Sammlung, ein Beleg für sein über Jahrhunderte hinweg angesammeltes Wissen. Sosehr Cyrus Fortschritt und Technik schätzt, kann doch nichts diese alten Bände ersetzen. Sie sind für ihn so etwas wie Glücksbringer, weshalb niemand von uns den Raum betreten darf. Die Bibliothek haben wir bei jedem unserer Umzüge in eine neue Stadt mitgenommen. Ich schaudere beim Gedanken an den Ärger, den wir damit auf der Reise von Barbados nach New Amsterdam hatten. Mindestens ein Mensch ist wegen dieser Bücher gestorben.
    Ich lasse die Finger über die Buchrücken gleiten, bis ich das Gesuchte finde und einen schmalen Band aus dem Regal nehme. Er ist mit einem Schloss versehen, wie ein Tagebuch. Ich muss es nicht lesen, denn ich kenne den Inhalt schon: die Formel für das Elixier. Als Sohn eines Alchemisten hat Cyrus gelernt, den Trank herzustellen, mit dem man das silberne Band durchtrennt, das unsere Seelen an unsere Körper fesselt. Er trägt immer eine damit gefüllte Phiole um den Hals. Nur wenige Tropfen sind nötig, um einen Menschen in einen von uns zu verwandeln, einen Wiedergeborenen, eine Seele, losgelöst von einem bestimmten Körper und unsterblich, weil sie Leben nehmen kann. Wir brauchen das Elixier nur ein einziges Mal – danach können wir uns nach Belieben einen neuen Körper suchen.
    Cyrus hat sich die Formel sicher eingeprägt. Vielleicht auch nicht – immerhin hat er seit beinahe hundert Jahren niemanden mehr verwandelt. Diese geringe Chance reicht mir.
    Ich setze mich an seinen Schreibtisch und nehme einen cremeweißen Bogen Briefpapier zur Hand.

Lieber Cyrus,
ich habe dich einmal von ganzem Herzen geliebt und bin deshalb jahrhundertelang am Leben geblieben, weil ich den Gedanken nicht ertragen konnte, von dir getrennt zu sein. Aber die Jahre haben uns verändert und leider nicht zum Besseren. Jeder Tod, für den wir verantwortlich sind, hat unsere Liebe Stück für Stück absterben lassen. Ich kann keinen Menschen mehr töten, nur damit ich weiterlebe. Wenn mein derzeitiger Körper stirbt, werde auch ich für immer gehen.
Bis zum nächsten Leben
Seraphina

    Zurück in meinem Zimmer, falte ich das Blatt zusammen und verstaue es in der Tasche des Kleides, das ich heute Abend tragen werde. Alles ist an Ort und Stelle. Türen öffnen sich, Türen schließen sich. Ich muss nur hindurchgehen.

    Als der Abend anbricht, ist der Nebel so dick, dass ich keine zehn Meter weit sehen kann. Die Straßenlaternen leuchten bernsteinfarben durch den Schleier und erinnern mich an Minerale in einem Feuer. Cyrus hat mich einmal mit bunten Flammen anstatt Blumen überrascht, und nichts deutete auf die leuchtenden Farben hin, die das blasse Pulver in seiner Handfläche in das Feuer zaubern würde. Sie kamen mir wie Magie vor, diese kleinen Flammen, die rot und lila glühten wie die Augen einer Katze auf ihrem nächtlichen Streifzug. Dabei war es nichts als Chemie – Borax, Kupferchlorid und Kaliumsulfat. Jetzt weiß ich es.
    Kurz vor zehn Uhr abends treffen Charlotte und ich im Emerald City ein. Die anderen sind schon den

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