Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
fürchten.«
»Ich kann auf mich selbst aufpassen.« Er lächelte wehmütig, als erinnere er sich an etwas.
»Du bist der merkwürdigste Junge, dem ich je begegnet bin – und glaub mir, die waren alle merkwürdig, also will das schon was heißen.« Sobald mir klar wurde, was ich da gerade gesagt hatte, hätte ich mich am liebsten geohrfeigt. Ich redete mal wieder, ohne nachzudenken, statt einfach schleunigst das Weite zu suchen.
Er lachte. »Wenigstens bist du ehrlich.«
»Manche halten das für eine Tugend.« Ich drehte mich um. Es war Zeit, nach Hause zu gehen. »Tu mir einen Gefallen und lass mich in Ruhe. Am Ende bist du ein Serienmörder und fällst gleich über mich her.« Ich schaute mich um in der Hoffnung, einer der Nachbarn würde das Verandalicht einschalten und mit einem Gewehr auf ihn zielen. Aber so ein Glück hatte ich nicht.
»Hast du Angst vor mir?«, fragte Will und bemühte sich, mit mir Schritt zu halten.
»Vielleicht hast du ja eine aggressive Störung, und deine Gegenwart sollte mich beängstigen und nicht nur nervös machen.« Nur noch vier Häuser und ich hätte es geschafft.
»Nein, aber hast du noch nie das Sprichwort gehört: Der Tapfere lebt nicht ewig, aber der Furchtsame hat nie gelebt?«
»Nein, das kenne ich nicht. Aber ich werd es mir merken. Vielen Dank für die sprichwörtliche Belehrung, mein lieber Stalker.«
Er hielt mir den Arm vor die Brust, um mich aufzuhalten, und starrte gebannt in die Dunkelheit. Sein Körper zitterte, aber irgendetwas sagte mir, dass es nicht an der kühlen Nachtluft lag.
Ich folgte seinem Blick, konnte jedoch auf der Straße vor uns nichts entdecken. Ein paar bereits abgefallene Blätter wurden von einer Windböe aufgewirbelt. Plötzlich kam mir ein seltsamer Geruch in die Nase, wie nach faulen Eiern und schwarzem Rauch. »Riechst du das? Was ist denn das?«
Er trat auf meine andere Seite, um sich zwischen mir und dem, was auch immer er anstarrte, zu postieren. »Du kannst den Limbus noch nicht sehen.«
»Was kann ich nicht sehen? Den Nimbus?« Ich spähte über
seine Schulter. Zuerst dachte ich, da wäre ein Schatten vorbeigehuscht, aber als ich blinzelte, war nichts mehr zu sehen. Es war zu dunkel.
Wills Blick fixierte einen Punkt in der schwarzen Dunkelheit. »Es ist noch nicht so weit! Bleib, wo du bist. Es ist mir egal, dass es schon nach Mitternacht ist – sie darf noch nicht angegriffen werden, es sei denn, du bist bereit, die Folgen zu tragen.«
Ganz offensichtlich redete er nicht mit mir. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich bis auf seinen Namen absolut nichts über ihn wusste. Er hätte irgendein Junkie sein können. Bis auf Gras und Alkohol hatte ich noch keine Drogen kennengelernt, nicht einmal Pilze, und härtere Sachen schon gar nicht, also hatte ich keine Ahnung, womit ich zu rechnen hatte. Mein Körper krampfte sich vor Angst zusammen. »Was hast du denn genommen? Mir reicht’s langsam. Ich geh jetzt.«
Ich rannte los zu unserem Haus.
»Nein, warte«, sagte Will.
Da war das Brummen wieder, nur ein wenig lauter als zuvor. Das war kein Automotor. War es ein Knurren? War da ein Hund – ein großer Hund – irgendwo in der Dunkelheit? Die panische Vorstellung, ein tollwütiger Hund könnte mich angreifen, raste durch meinen Kopf. Wenn der Hund so nah war, dass ich ihn hörte, müsste ich ihn auch sehen können. Schließlich war es nicht stockfinster.
Ein weiteres Knurren ertönte, dann folgten schwere Schritte – wie die Schritte des Tyrannosaurus Rex, die in Jurassic Park den Pudding erzittern lassen.
»Was ist das?«, fragte ich zitternd und blickte suchend in die Dunkelheit. Mir war, als würden meine Albträume Wirklichkeit. In meinem Kopf drehte sich alles, und die Furcht ließ meinen Magen rebellieren.
Ohne dass ich wusste woher, blies mir plötzlich heißer, nach Verwesung stinkender Atem ins Gesicht, und ich wirbelte würgend herum. »Oh, mein Gott!«, stöhnte ich und presste die Hände auf den Mund.
»Komm her«, sagte Will langsam und streckte mir die Hand entgegen, ohne einen Schritt auf mich zuzugehen. Die Besorgnis,
die ihm zuvor schon im Gesicht gestanden hatte, war noch deutlicher. Jetzt sah ich Furcht, und das machte mir noch mehr Angst.
»Niemals!«, rief ich und versuchte mich von ihm loszureißen.
Seine Furcht wandelte sich in Zorn über meinen Fluchtversuch. »Hör auf zu schreien. Dadurch bringst du ihn dazu anzugreifen.«
Panik überkam mich. »Lass mich los!«, schrie ich und wollte
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