Evermore - Das dunkle Feuer - Noël, A: Evermore - Das dunkle Feuer
und Juwelenschmucks, den sie im Sommerland immer zur Schau gestellt hat, ungeachtet der Tatsache, dass sie jetzt alles haben kann, was sie will. Und unwillkürlich frage ich mich, ob sie sich wirklich geändert
hat. Ob sie vielleicht nicht mehr dieselbe alte Ava ist, die ich früher gekannt habe.
Sie verlagert das Gewicht auf ihrem Stuhl, legt das Buch vor sich hin und schlägt sofort die richtige Seite auf. Ihr Finger folgt beim Lesen der Zeile: »Jeder trägt einen Schatten, und je weniger dieser im bewussten Leben des Individuums verkörpert ist, desto schwärzer und dichter ist er … Die psychologische Regel besagt, dass, wenn eine innere Situation nicht bewusst gemacht wird, sie sich außerhalb als Schicksal ereignet … ein unbewusstes Hindernis bildet, das selbst unsere besten Absichten durchkreuzt … und so weiter.« Sie klappt das Buch zu und sieht mich an. »Oder jedenfalls sagt das Dr. Carl G. Jung, und wer sind wir, ihm zu widersprechen?« Sie lächelt. »Ever, ob wir unser volles Potenzial erreichen oder nicht und unsere Bestimmung erfüllen, liegt ganz bei uns. Weißt du noch, was ich vorhin gesagt habe - wie drinnen, so auch draußen? Worüber wir nachdenken, worauf wir uns konzentrieren, wird immer, immer auf der Außenseite widergespiegelt. Ich frage dich also, worauf willst du dich konzentrieren? Zu wem willst du von diesem Punkt an werden? Wie soll sich dein Schicksal entfalten? Du hast einen Weg, ein Ziel, und auch wenn ich keine Ahnung habe, was das ist, habe ich doch dieses unheimliche Gefühl, dass es etwas Mächtiges, Großes ist. Und auch wenn du ein bisschen vom Kurs abgekommen bist, wenn du mich lässt, kann ich dich auf den Pfad zurückführen, du brauchst nur was zu sagen.«
Ich blicke auf meine Teetasse hinunter, auf den zerbröselten Keks, und weiß, dass alles, was ich bisher getan habe, jeder unrühmliche, unbedachte Schritt, mich wieder hierhergebracht hat. Zurück in Avas Küche. Der letzte Ort, an den ich jemals zurückzukehren gedachte.
Wieder und wieder fahre ich mit dem Finger um den Rand der Teetasse herum und wäge meine Möglichkeiten ab, von denen ich zugegebenermaßen nur wenige habe. Dann schaue ich auf, begegne ihrem Blick. Lächele und sage: »Was.«
NEUNUNDZWANZIG
B evor ich anklopfen kann, ist Damen da. Aber er war auch immer schon da. Und das meine ich sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinne. Er war die letzten vierhundert Jahre da, genauso, wie er jetzt da ist, barfuß, mit offenem Bademantel und auf wahnsinnig reizvolle Weise zerzausten Haaren. Verschlafen schaut er mich mit schweren Lidern an.
»Hey.« Seine Stimme ist schwer und rau; der Tag ist noch neu für sie.
»Selber hey.« Ich lächele und gehe an ihm vorbei auf die Treppe zu, dabei fasse ich seine Hand und ziehe ihn mit. »Das war wirklich kein Witz, dass du immer spüren kannst, wenn ich in der Nähe bin, nicht wahr?«
Seine Finger schließen sich fester um meine, während er mit denen seiner freien Hand durch sein wirres Haar fährt und versucht, es zu bändigen, doch ich dränge ihn dazu, es so zu lassen. Ich sehe ihn so selten so, benommen und ein bisschen unordentlich, und ich muss sagen, irgendwie gefällt es mir.
»Also, was liegt an?« Er folgt mir in sein ganz besonderes Zimmer und kratzt sich am Kinn, während er zusieht, wie ich angesichts seiner Sammlung sehr alter Dinge ins Schwärmen gerate.
»Also, zuerst mal geht’s mir besser.« Ich kehre einer sehr ernsten Picasso-Version von ihm den Rücken zu zugunsten
der sehr viel süßeren, sehr viel knackigeren realen Ausgabe. Mein Blick begegnet dem seinen, als ich hinzufüge: »Ich meine, ich bin vielleicht noch nicht komplett und total angekommen , aber ich bewege mich definitiv in die richtige Richtung. Wenn ich bei der Stange bleibe, sollte es nicht lange dauern.«
»Stange?« Er lehnt sich gegen ein altes Samtsofa, während er mich so eingehend mustert, dass ich unwillkürlich verlegen mit den Händen über mein Kleid fahre und im Stillen denke, dass ich mir wenigstens die Zeit hätte nehmen sollen, etwas zum Anziehen zu manifestieren, das nicht so zerknittert ist, ehe ich losgestürzt bin.
Doch ich war so aufgeputscht von meinem Gespräch mit Ava und der Serie heilender und reinigender Meditationen, die sie mich hat durchführen lassen, na ja, ich konnte einfach nicht warten. Konnte es nicht erwarten, es ihm zu erzählen - wieder bei ihm zu sein.
»Ava hat mir eine Art Heilfasten verordnet.« Ich lache. »Nur eben
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