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Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts

Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts

Titel: Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
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waren nicht da, und so war das Haus verlassen: ein prachtvolles Heim, eher wie aus einer Zeitschrift als wie irgendein richtiges Zuhause, in das ich je meinen Fuß gesetzt hatte. Die Eingangshalle war in grünem Marmor gehalten, und ein schmaler Kronleuchter hing von der zehn Meter hohen Decke herab. Alles roch nach Möbelpolitur und nach Orangen. Wir stiegen die breite, weiße, ausladende Haupttreppe empor. Ich konnte mir gut vorstellen, wie Ginger Rogers diese Stufen in einem Kleid aus Straußenfeder hinabtanzte. Auf jeden Fall würde ein Filmstar eher hierherpassen als ich in meinem billigen, kurzen Sommerkleidchen.
    Natürlich schien auch Vic hier fehl am Platz zu sein, und es war immerhin sein eigenes Zuhause. Ich fragte mich, ob seine sorglose Nachlässigkeit vielleicht seine eigene Art und Weise war, gegen die perfekte Ordnung, die seine Eltern geschaffen hatten, zu rebellieren.
    »Sie taucht nur auf dem Speicher auf«, sagte er, als wir über das Parkett des Flurs im zweiten Stock schritten. Die Gemälde an den Wänden sahen alt aus. »Das ist ihr Lieblingsplatz, glaube ich.«
    »Du siehst sie sogar?«
    »Wie eine Gestalt unter einem Laken oder so? Nein. Man weiß einfach, dass sie da ist. Und hin und wieder – nun ja, lass es uns einfach versuchen. Ich will dir nicht groß Hoffnungen machen.«
    Meine einzige Hoffnung in diesem Augenblick war die, angesichts eines Geistes nicht vor Entsetzen zu erstarren. Im Stillen dankte ich meinen Eltern für den Anhänger, während ich Vic zusah, als er die Tür zur Treppe hoch auf den Dachboden öffnete und hinaufstieg. Ich holte einige Male tief Luft, dann folgte ich ihm.
     
    Der herumstehende Plunder war ansehnlicher als auf den meisten Dachböden, würde ich mal sagen. Eine blauweiße Porzellanvase thronte auf einem staubigen Schreibtisch, der so breit wie ein Bett und vermutlich mindestens hundert Jahre alt war. Eine Schneiderpuppe trug eine Jacke aus vergilbter Spitze und einen alten Damenhut aus der Zeit König Edwards, der noch immer keck mit Federn besetzt war. Der Perserteppich unter unseren Füßen sah für mein ungebildetes Auge echt aus. Auch wenn es muffig roch, war es eine angenehme Art von Muffigkeit, so wie bei alten Büchern.
    »Ich mag es hier oben«, sagte Vic. Sein Gesicht war ernster als gewöhnlich. »Das ist wahrscheinlich mein Lieblingsplatz im ganzen Haus.«
    »Hier findest du es also gemütlich.«
    »Du verstehst das, was?«
    Ich lächelte ihn an. »Ja, ich verstehe das.«
    »Okay, wir sollten uns hier hinsetzen und abwarten, ob sie sich zeigt.«
    Wir ließen uns im Schneidersitz auf den Perserteppich sinken und harrten der Dinge, die da kommen mochten. Meine Nerven reagierten auf jedes Knarren vom Holz, und immer wieder schaute ich nervös zum kleinen Fenster hinter der Schneiderpuppe. Die Scheiben waren noch nicht gefroren.
    »Ich werde dir das Bargeld geben, nicht Lucas«, sagte Vic, während er mit den Schnürsenkeln seiner Chucks herumspielte. »Ich habe ungefähr sechshundert Dollar flüssig, die kriegst du. Normalerweise habe ich mehr, aber ich habe mir gerade eine neue Stratocaster gekauft.« Er ließ den Kopf hängen. »Ich fühle mich ganz blöd, dass ich so viel Geld für eine Gitarre ausgegeben habe, obwohl ich kaum spielen kann. Wenn ich gewusst hätte, dass ihr es viel dringender braucht …«
    »Das hast du doch nicht wissen können. Außerdem ist es dein Geld, und du kannst es ausgeben, wofür du möchtest. Es ist so lieb von dir, dass du es überhaupt mit uns teilen willst.« Ich runzelte die Stirn, denn einen Moment lang war ich zu abgelenkt, um noch angespannt auf den Geist zu warten. »Warum willst du es mir und nicht Lucas geben? «
    »Weil Lucas sich vermutlich weigern würde, mehr als hundert Dollar anzunehmen. Manchmal ist er zu stolz, zuzugeben, dass er Hilfe braucht.«
    »Wir sind nicht stolz.« Ich erinnerte mich beschämt daran, wie wir über die Drehkreuze in der U-Bahn gesprungen waren. »Dazu sind wir viel zu abgebrannt.«
    »Doch, doch, bei Lucas geht es immer um den Stolz. Immer. Du bist die Vernünftigere von euch beiden.«
    Meine Lippen zuckten. »Ich wünschte, das könnte ich ihm erzählen.«
    »Er weiß es«, antwortete Vic. »Ihr beide seid schon ein gutes Team.«
    Ich erinnerte mich an die letzte Nacht und spürte, wie sich meine Wangen tiefrot verfärbten.
    »Ja«, sagte ich mit weicher Stimme, »das sind wir.«
    Ein Grinsen breitete sich auf Vics Gesicht aus, und eine entsetzliche Sekunde lang dachte

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