Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
aussehen.«
»Ich weiß, mein Lieber. Ich mache das inzwischen nämlich schon eine ganze Weile.«
Sie wollte ihn aufziehen und drückte ihn zärtlich. »Aber wir können das Haus jetzt verkaufen und mit dem Geld irgendwo anders hingehen.«
Er legte ihr seinen Arm um die Schultern. »Hast du Heimweh nach England?«
Mom strahlte, und ich vermutete, dass ihr nächstes Haus irgendwo in der Näher ihres geliebten Londons liegen würde. Aber sie ließ sich nicht von ihrer Sorge um mich ablenken. »Was ist mir dir, Bianca?«
»Ich bleibe bei Lucas«, sagte ich, »aber es ist nicht wichtig für mich, wo ich wohnen werde. Ich kann von einem Wimpernschlag auf den nächsten bei euch sein. Also können wir uns so oft besuchen, wie wir wollen. Dass ich zu weit von euch entfernt bin, gibt es nicht mehr.«
Meine Mutter ließ den Kopf hängen. »Es ist so gemein, dass du zwar jemand anderem das Leben zurückgeben kannst, aber selber für immer ein Geist bleiben wirst.«
»Mom, das ist schon in Ordnung.« Ich hatte diesen Gedanken nun schon seit geraumer Zeit in meinem Herzen bewegt, und nach den erstaunlichen Ereignissen des heutigen Tages fand ich endlich die richtigen Worte für das, was ich ihr zu sagen hatte. »Hör auf zu denken, dass mir etwas Schreckliches zugestoßen ist, ja? Du und Dad, gerade ihr solltet doch wissen, dass der Tod nicht das Ende ist. Außerdem: Ich war von Anfang an dazu auserkoren, ein Geist zu werden. Das spüre ich jetzt. Diese Kräfte, diese Fähigkeiten … Ich kann mir schon gar nicht mehr vorstellen, wie es war, nicht darüber zu verfügen. Dies ist mein Schicksal. Dies ist meine Bestimmung.« Nach einer kurzen Pause fügte ich hinzu: »Und ich habe meinen Spaß dabei.«
Meine Eltern fingen an zu lachen und schlossen mich fest und lange in ihre Arme.
Während die Polizisten ausgesprochen wirre Aussagen verschiedener Schüler und einen sehr vorsichtigen Bericht von Lucas aufnahmen, blinkten die roten und blauen Lichter auf ihren Wagen und tauchten die Schneekruste, die das Schulgelände überzog, in verschiedene Farben. Vic und Ranulf halfen Skye die Vordertreppe von Evernight hinunter; ich konnte sehen, dass sie noch immer zitterte und sich unbeholfen bewegte, während sie versuchte, eine Reisetasche zu manövrieren, die halb so groß wie sie selber war. Als sie an uns vorbeigingen, hörte ich sie sagen: »Vampire und Vampirjäger und Geister … und sie liegen alle miteinander im Krieg?«
»Anwesende ausgenommen«, sagte Vic und warf uns über die Schulter hinweg ein Grinsen zu. Ich konnte spüren, dass Maxie ganz in seiner Nähe schwebte. »Also, wenn du mich fragst, dann sollten das nicht die Kategorien sein. Stattdessen sollte man nur zwischen normalen, einzigartigen Leuten einerseits und durchgeknallten Leuten andererseits unterscheiden. Und auf beiden Seiten gäbe es bei dieser Aufteilung eine Menge Menschen und Vampire und Geister, verstehst du?«
»Wir wären auf jeden Fall auf Seiten der einzigartigen Leute«, sagte Ranulf mit ernster Stimme.
»Wenn du das sagst …« Skye sah so aus, als wollte sie dem ganzen Übernatürlichen so schnell wie möglich entkommen und sich erst mal gründlich ausschlafen. Ich konnte es ihr nicht verdenken. Aber ich wollte sie nicht gehen lassen, ohne mich bei ihr zu bedanken.
»Skye« rief ich, während ich auf sie zuging. Sie sah mir müde entgegen. »Was du da oben für mich getan hast … Das werde dir nie vergessen, und Lucas wird das auch nicht.«
»Lucas hat mir einst das Leben gerettet«, sagte Skye. »Und ich wollte ihm ebenfalls etwas Gutes tun. Das konnte ich, indem ich dir half. Und wie ich schon sagte: Ich wünschte, jemand würde das für mich tun.«
Ihre Stimme war so müde, und in ihren Augen lag ein gequälter Ausdruck. Ich wählte meine Worte sorgfältig, als ich sagte: »Ich war nun eine ganze Weile in deinem Körper, und einige sehr beeindruckende, übernatürliche Dinge sind geschehen. Bist du sicher, dass mit dir alles in Ordnung ist?«
Skyes Gesichtsausdruck wurde härter. »Mir wird es umso besser gehen, je schneller ich von hier verschwinden kann.« Sie holte tief Luft. »Sag Lucas, dass ich mich für euch alle freue. Und … sag ihm Lebewohl.« Dann stapfte sie durch den Schnee zu einem der Polizeiautos davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.
In einiger Entfernung konnte ich Balthazar stehen sehen, abseits von allen anderen. Ich gesellte mich zu ihm. Der Mantel meines Vaters hing mir über den Schultern, und er war so
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