Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
Lucas und auch nicht für mich.«
»Aber warum hast du dann …«
»Halt den Mund«, unterbrach mich Balthazar. In diesem Moment erhob sich Lucas, der bis eben noch vor mir gekniet hatte, vielleicht weil er einen Streit erwartete und mich verteidigen wollte. Balthazar würdigte ihn jedoch keines Blickes. Er starrte mir weiterhin unverwandt in die Augen. »Zweitens: Ich habe euch nicht gewarnt, weil es nicht häufig geschieht. Der Erschaffer muss es schon wirklich darauf anlegen, sich in die Träume seiner Opfer einzumischen, denn es schwächt einen Vampir tagelang. Vielleicht sogar wochenlang. Darum macht das eigentlich niemand. Wenn jemand jede Nacht in Lucas’ Träume eindringt, dann muss er … mehr als besessen sein.«
»Tja, klingt ganz nach Charity«, erwiderte ich.
Lucas war an unserer Auseinandersetzung überhaupt nicht beteiligt, aber er hörte uns zu und zog seine eigenen Schlüsse. »Charity ist wirklich in meinem Kopf«, murmelte er. »Sie ist diejenige, die mich so verrückt macht.«
Balthazar schnitt eine Grimasse. »Ja, das ist sie. Sie ist krank und durchgedreht – ja, ich sehe jetzt selber, dass Charity krank ist. Obwohl ich sie vermisse, obwohl ich lange gedacht habe, ich könnte sie wieder auf die richtige Spur bringen …« Seine Stimme versagte. Dann fuhr er fort: »Ich habe immer gewusst, dass sie krank ist.«
»Balthazar …«, begann ich mit jetzt sanfterer Stimme, denn ich wollte, dass er aufhörte, sich selbst zu quälen.
»Himmel, du kannst wirklich nicht mal die Klappe halten und jemand anderen reden lassen, oder?«
Er trat noch weiter an mich heran. Näher war er mir bislang nur gewesen, als wir uns geküsst hatten. »Drittens und letztens: Ich will eines klarstellen. Was für Fehler auch immer ich gemacht habe, seitdem du gestorben bist – ich bin nicht derjenige gewesen, der Lucas verwandelt hat. Das war Charity. Und ich habe dich auch nicht gezwungen, Lucas von den Toten zurückkommen zu lassen. Also hör auf, mir die Schuld dafür zu geben.«
Mit diesen Worten drehte sich Balthazar um, griff nach seinem Bademantel und seinen Zigaretten und ging zur Tür. Ich wollte protestieren, aber ich wusste, dass ihm das den Rest gegeben hätte. Lucas jedoch sagte: »Hey, Balthazar.«
Er verharrte an der Tür, die Hand auf dem Knauf. »Was ist denn?«
»Du hättest nicht schreien sollen.« Lucas verzog das Gesicht und fuhr fort: »Aber du hattest nicht unrecht.«
Balthazar stapfte einfach hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. Ich konnte hören, wie sich einige Leute auf dem Flur lautstark über den Lärm beschwerten.
Auch Lucas hörte die Stimmen und sagte: »Ich hoffe, dass niemand deinen Namen mitbekommen hat, als Balthazar herumgeschrien hat.«
»Ich kann nicht glauben, dass du dich auf seine Seite gestellt hast.«
»Quatsch, ich bin auf deiner Seite. Ganz egal, was geschieht.« Lucas legte mir seine Hände auf die Schultern. Mein Körper war noch fest genug, um das Gewicht zu halten.
»Aber du machst tatsächlich bei jeder Gelegenheit ihn für alles verantwortlich, seitdem wir … seitdem wir gestorben sind, schätze ich. Das wird wohl immer komisch klingen.«
»Er hätte dich in jener Nacht nicht mitnehmen sollen.«
»Ich hätte ihn nicht begleiten sollen. Aber es war meine Entscheidung und meine Idee. Außerdem …« Offensichtlich gefiel es Lucas gar nicht, das zugeben zu müssen, aber er beendete seinen Satz. »Dich zu verlieren hat ihn beinahe genauso hart getroffen wie mich. Wenn ich also für meine Taten an diesem Tag nicht verantwortlich war, dann war er es genauso wenig.«
Ich schwebte etwas weiter von Lucas weg zum Fensterbrett, wo ich mich niederließ und die Knie gegen die Brust zog. Ich schlang die Arme um mich herum wie ein kleines Kind. Aus dieser Art, mir selbst Trost zu spenden, war ich noch immer nicht herausgewachsen. Im Augenblick hatte ich das Gefühl, dass es viel zu viele Dinge gab, aus denen ich hätte herausgewachsen sein sollen, die ich aber noch lange nicht abgelegt hatte.
»Ich weiß, wie sehr du dich nach jemandem sehnst, dem du die Schuld für alles geben kannst«, sagte Lucas. »Nach jemandem, der hier und greifbar ist, sodass du ihm die Hölle heißmachen kannst. Aber Balthazar ist unser Freund, Bianca. Er hat viel für uns getan.«
Langsam nickte ich. »Ich fühle mich dumm.«
»Du bist nicht dumm.« Einen Moment später fügte er hinzu: »Du hast darüber nachgedacht, mich lieber endgültig zu vernichten, als mich als Vampir
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