Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
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»Lucas, nein! Ich bin hier drüben!« Ich kam näher, damit er mich auch hörte. Das tat er. Er drehte sich zu mir, sein Gesichtsausdruck war verzweifelt, und er sagte nur: »Schon gut, Bianca. Ich werde dich herausholen.«
Er hatte den mächtigen Bann des Traumes noch immer nicht durchbrochen, aber nun verstand ich, warum Lucas so unabwendbar an die Bilder glaubte, die ihm seine Träume vorgaukelten: Charity sorgte dafür. Ich war fest entschlossen, irgendwie zu ihm durchzudringen, und wollte gerade noch weiter an ihn herantreten, als sich plötzlich kalte Finger um mein Handgelenk schlossen.
»Er muss lernen, dass er dich nicht retten kann«, sagte Charity. Ihre blonden Locken hatten jetzt die Farbe des Feuerscheins. »Und du musst begreifen, dass du ihn ebenfalls nicht retten kannst, weil er mir gehört.«
Ein schneidendes Aufblitzen von Macht durchfuhr mich wie ein starker Stromstoß. Ich schrie auf, lauter, als ich es je für möglich gehalten hatte – und der Schmerz verebbte.
Als ich die Augen öffnete, sah ich, dass ich wieder in Lucas’ und Balthazars Zimmer zurückgekehrt war. Charity hatte mich aus dem Traum gedrängt.
»Was zum …« Balthazar fuhr kerzengerade in seinem Bett auf, just in dem Moment, in dem Lucas die Augen weit aufriss. Ich musste in dieser Welt ebenso wie in der Welt der Träume geschrien haben.
Lucas entdeckte mich und blinzelte. »Bianca?«
»Ich bin hier!« Ich warf mich in seine Arme und drückte ihn fest an mich, während ich darum kämpfte, meine körperliche Gestalt zu behalten. »Mit mir ist alles in Ordnung.«
»In meinem Traum warst du … Dir ist nicht wirklich etwas zugestoßen, nicht wahr? Du musstest das nicht in Wahrheit durchleben, oder?«
»Nein«, sagte ich und sah die verletzte, verbrannte Version meiner selbst vor meinem geistigen Auge, auch wenn ich nur einen kurzen Blick daraufgeworfen hatte. Aber als mein Bein seitlich gegen das Bett stieß, zuckte ich zusammen, und Lucas schaute besorgt hinunter. Silbriges Blut sickerte durch meine Pyjamahose und verriet so die Verbrennung an meinem Unterschenkel.
»Bianca!« Lucas schlüpfte aus dem Bett, um die Verletzung genauer in Augenschein zu nehmen. Er rollte das Bein der Schlafanzughose hoch, was ein stechendes Gefühl hervorrief. Auch Lucas zuckte schmerzverzerrt zusammen. Natürlich ! Mein Geisterblut tat ihm weh, aber das war ihm vollkommen gleichgültig. Rauchschwaden stiegen von seinen versengten Fingern auf, als er meine Wunde untersuchte. »Es ist wirklich geschehen. Dinge, die in meinen Träumen passieren, haben die Macht, dich zu verletzen.«
»Das wird wieder heilen. Ist nichts Großartiges, wirklich. Sobald ich wieder unsichtbar bin, ist das Schlimmste überstanden.« Ich versuchte, beruhigend zu klingen, doch ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme zitterte. Die Verbrennung schmerzte mehr, als ich es mir je hätte vorstellen können, selbst nach dem Tod noch.
Balthazar rieb sich verschlafen übers Gesicht und kam zu uns herüber. Seine Augen wurden riesig, als er meine Verbrennung sah: »Woher hast du das denn?«
Ich wirbelte zu ihm herum, und meine Angst verwandelte sich mit einem Schlag in Zorn. »Warum hast du uns nichts über den Erschaffer eines Vampirs erzählt?«
»Wovon sprichst du?« Balthazar war verwirrt von meinem plötzlichen Gefühlsumschwung und schien keine Ahnung zu haben, was er antworten sollte. »Ihr wisst doch wohl beide, was ein Erschaffer ist, oder? Es kann ja schlecht sein, dass ihr nicht Bescheid wisst.«
»Ich spreche davon, dass ein Erschaffer in die Träume seiner Opfer eindringen kann.«
Ich erhob mich von Lucas’ Bett und ging zu Balthazar. Mein Bein tat weh, aber ich beachtete den Schmerz nicht. »Warum hast du uns davon nichts erzählt?«
Balthazar wich zurück, und auf seinem Gesicht malte sich plötzliches Verstehen, als er begriff, was ich da sagte: »Verdammt«, fluchte er. »Charity.«
Lucas wurde blass. »Wartet mal, wartet mal. Charity … in meinen Träumen ist echt ?«
»Hast du vielleicht angenommen, dass deine fromme kleine Schwester sich raushalten würde?«, fragte ich. »Oder hat es dir einfach mehr Spaß gemacht, uns die Sache selber herausfinden zu lassen?«
Balthazars Stimmung schlug so rasch um, dass ich einen Schreck bekam. Er schrie mir mitten ins Gesicht, und seine Züge waren von so rasendem Zorn verzerrt, wie ich es noch nie bei ihm gesehen hatte. »Erstens: Das ist alles kein Spaß. Nicht für dich, nicht für
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