Evernight Bd.1 Evernight
senkte ich den Kopf. Wir wären eine Weile ganz gefühlsduselig nebeneinander hergelaufen, wären wir nicht in der Stadt unterwegs gewesen und auf die anderen Schüler gestoßen, die auf dem Weg zum Bus waren. Alle plauderten angeregt miteinander, während nicht ein einziger Lehrer zu entdecken war. »Warum stehen denn alle hier so herum? Wie kommt es, dass noch niemand in den Bus eingestiegen ist?«
Lucas blinzelte; offensichtlich hatte ihn der plötzliche Themenwechsel auf dem falschen Fuß erwischt. »Hm, weiß ich auch nicht.« Dann, als er sich ein wenig gesammelt hatte, fuhr er fort: »Du hast recht. Die Lehrer sollten uns eigentlich schon zusammenrufen.«
Wir mischten uns unter die anderen Schüler. »Was ist denn los?«, fragte ich Rodney, einen Typen, den ich aus dem Chemiekurs kannte.
»Es geht um Raquel. Sie ist verschwunden.«
Das konnte nicht stimmen, und ich betonte: »Sie würde nie allein weggehen. Sie fürchtet sich ganz schnell.«
»Tatsächlich? Mir kam sie eigentlich immer so vor, als könnte sie ganz gut auf sich allein aufpassen!« Vic war in der Masse der Mitschüler zu uns gestoßen, in der Hand eine durchsichtige Plastiktüte, vollgestopft mit Krawatten in grellen Farben. Dann machte Rodney eine Pause, als wäre ihm plötzlich eingefallen, dass es kein guter Stil war, schlecht über eine vermisste Person zu sprechen. »Ich habe sie vorhin noch im Schnellrestaurant gesehen. Irgendein Kerl aus der Stadt hat sie angequatscht und versucht, Eindruck zu schinden. Danach bin ich ihr nicht mehr über den Weg gelaufen.«
Ich griff nach Lucas’ Hand. »Glaubst du, dass dieser Typ ihr etwas angetan hat?«
»Vielleicht verspätet sie sich auch einfach.« Lucas strengte sich an, beruhigend zu klingen, aber er war nicht sehr erfolgreich.
Vic zuckte mit den Schultern. »Hey, vielleicht hat er ja genau das Richtige gesagt, und sie macht gerade mit ihm rum.«
So etwas würde Raquel nie tun. Sie war zu vorsichtig und zu misstrauisch, um sich jemals, einer plötzlichen Eingebung folgend, auf einen Jungen einzulassen, den sie nicht kannte. Mit schlechtem Gewissen wünschte ich, wir hätten sie gefragt, ob sie nicht Lust hätte, mit Lucas und mir die Zeit zu verbringen, anstatt sie einfach sich selbst zu überlassen.
Mein Vater trat auf den Marktplatz, die Stirn in Falten gelegt. Mir wurde klar, dass er sich sogar noch mehr Sorgen als ich machte. Er sagte nur: »Alle setzen sich in den Bus und fahren zurück. Wir werden Raquel finden, Sie können ganz unbesorgt sein.«
»Ich bleibe und suche auch nach ihr.« Ich machte einen Schritt von Lucas weg auf meinen Vater zu. »Wir sind Freundinnen. Ich könnte mir einige Orte vorstellen, an denen sie sein könnte.«
»Okay.« Dad nickte. »Alle anderen setzen sich bitte in Bewegung.«
Lucas legte mir eine Hand auf die Schulter. Das war nicht der romantische Abschied, den ich vorher im Sinn gehabt hatte. Lucas war jedoch nicht aus einem selbstsüchtigen Gefühl heraus eifersüchtig. Alles, was ich sah, war ehrliche Sorge um Raquel und mich. »Ich sollte ebenfalls bleiben und mich nützlich machen.«
»Das würden sie nicht zulassen. Ich bin ganz überrascht, dass sie mich hierbehalten.«
»Es ist gefährlich«, sagte er leise.
Mir wurde warm ums Herz bei seinen Worten: Er versuchte so verzweifelt, mich zu beschützen, ohne zu bemerken, dass ich gut auf mich selbst aufpassen konnte. Ich sagte das Einzige, was mir einfiel, um ihn zu beruhigen: »Mein Vater wird schon ein Auge auf mich haben.« Dann stellte ich mich auf die Zehenspitzen, um Lucas einen Kuss auf die Wange zu geben, und befühlte noch einmal mit den Fingern die Brosche. »Danke. Vielen Dank.«
Lucas ließ mich nur ungern zurück, aber es war eine gute Idee gewesen, meinen Vater ins Spiel zu bringen. Rasch erwiderte Lucas den Kuss. »Wir sehen uns morgen.«
Als der Bus davonfuhr, machten mein Vater und ich uns eilig auf den Weg hinaus aus dem Zentrum in die Außenbezirke der Stadt. Dad sagte: »Weißt du wirklich, wohin sie gegangen sein könnte?«
»Keine Ahnung«, gab ich zu. »Aber man braucht jeden für die Suche, den man kriegen kann. Außerdem, was wäre, wenn jemand fließendes Wasser überqueren muss?« Vampire mochten kein fließendes Wasser. Mir machte das nicht das Geringste aus - zumindest bislang noch nicht -, aber meine Eltern machte es verrückt, auch nur über einen Bach gehen zu müssen.
»Mein Mädchen kann auf sich selbst aufpassen.« Dads Stolz überrumpelte mich, aber
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