Evernight Bd.1 Evernight
geschafft, und ich betrat ihr Zimmer.
Lucas lag auf dem Bett und hatte die Hände auf den Magen gepresst, als ob ihm schlecht wäre. Als er zu mir aufsah, entdeckte ich Überraschung und dann Erleichterung. Er war trotz allem froh, mich zu sehen, und das machte mich so glücklich, dass ich lächeln musste. »Hey!«, sagte ich und kniete mich neben sein Bett. »Hast du Magenschmerzen?«
»Ich glaube nicht, dass das das Problem ist.« Er schloss die Augen, als ich ihm einige Haarsträhnen aus der schweißnassen Stirn strich.
»Vic, könntest du uns vielleicht einige Sekunden allein lassen?«
»Na klar. Häng einfach deine Krawatte an den Türknauf, wenn du hier drinnen zugange bist. Normalerweise bin ich ja für die freie Liebe, aber…«
»Vic!«, riefen wir wie aus einer Kehle.
Er hob abwehrend die Hände und schob sich grinsend rückwärts durch die Tür. »Okay, okay.«
In der gleichen Sekunde, in der sich die Tür schloss, drehte ich mich zu Lucas um.
»Was ist los?«
»Seit heute Morgen ist es, als ob… Bianca, ich kann alles hören. Alles in dieser ganzen Schule. Wie sich Leute unterhalten, herumlaufen, ja sogar schreiben. Die Stifte kratzen auf dem Papier. Es ist alles so laut.« Das klang so vertraut, dass mir ein gespenstischer Schauer über den Rücken lief. Lucas kniff die Augen zusammen, als ob das Licht zu viel für ihn wäre. »Auch die Gerüche sind intensiver. Alles ist einfach… übertrieben. Es ist unerträglich.«
»Mit mir ist das Gleiche passiert, nachdem ich dich gebissen hatte.«
Lucas schüttelte den Kopf und beharrte: »Es kann nicht am Biss liegen. Beim letzten Mal habe ich mich nicht so gefühlt. Mir war ein bisschen flau im Kopf, als ich bei Mrs. Bethany wieder aufgewacht bin, aber das war auch schon alles.«
»Mehr als einmal«, flüsterte ich und erinnerte mich an das, was mir meine Mutter gesagt hatte. »Du kannst kein Vampir werden, bis du mehr als einmal gebissen worden bist.«
Lucas setzte sich kerzengerade auf, sodass sein Rücken gegen das metallene Kopfteil des Bettes lehnte. »Hey, hey, ich bin kein Vampir. Ich bin immer noch am Leben.«
»Nein, du bist kein Vampir. Aber du könntest jetzt einer werden. Es ist möglich für dich. Und vielleicht… vielleicht verändert sich der Körper, sobald das möglich ist.«
Er schnitt eine Grimasse. »Du nimmst mich auf den Arm, oder?«
»Darüber würde ich keine Witze machen.«
»Und, na ja, kann man es irgendwie wieder rückgängig machen? Es wieder so einrichten, dass ich doch kein Vampir werde?«
»Ich weiß es nicht! Ich habe keine Ahnung, wie das alles funktioniert.«
»Wie kann das sein, dass du das nicht weißt? Wird man denn nicht aufgeklärt über das Vampirdasein?«
Lucas deutete schon wieder an, dass meine Eltern wichtige Informationen vor mir geheim gehalten hatten. Das ärgerte mich noch immer, aber nun traf mich die niederschmetternde Erkenntnis, dass er recht haben könnte. »Sie haben mir erzählt, wie ich zur Vampirin werden würde. Sie haben mich auf meine eigene Veränderung vorbereitet. Nicht auf deine.«
»Ich weiß, ich weiß.« Seine Hand auf meinem Arm war beruhigend, und ich hasste es, dass er mich trösten musste, während er selbst so ängstlich und beunruhigt war. »Es fällt mir nur echt schwer, mit allem klarzukommen.«
»Dann sind wir ja schon zu zweit.«
Warum war es mir bislang nicht aufgefallen, wie wenig ich über die reinen Fakten wusste, die ein Vampirdasein bestimmten? Bislang hatte ich nie etwas in Frage stellen müssen. Vielleicht hatten meine Eltern gar nicht vorsätzlich die Wahrheit vor mir verschwiegen, vielleicht warteten sie einfach nur darauf, dass ich alt genug dafür war. Mir dämmerte, dies könnte der wahre Grund gewesen sein, warum sie darauf bestanden hatten, dass ich die Evernight-Akademie besuchte. Sie könnten im Sinn gehabt haben, mich darauf vorzubereiten, die ganze Wahrheit zu erfahren. Wenn das der Fall war, dann hatten sie ihren Willen bekommen. »Ich werde versuchen, es herauszufinden. Es muss doch Bücher darüber in der Bibliothek geben. Oder ich könnte jemanden ausfragen, der keinen Verdacht schöpfen würde, zum Beispiel Patrice. Ich weiß, dass Balthazar mir alles sagen würde, aber er wüsste sofort, dass ich dich wieder gebissen habe. Vielleicht würde er es meinen Eltern verschweigen, vielleicht aber auch nicht, wenn er glaubte, dass es zu unserem Besten wäre.«
»Geh kein Risiko ein«, sagte Lucas. »Wir werden es schon irgendwie
Weitere Kostenlose Bücher