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Evers, Horst

Evers, Horst

Titel: Evers, Horst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fuer Eile habe ich keine Zeit
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meiner inneren
Organe von geradezu bezaubernder Anmut oder seltener, verführerischer
Schönheit. Womöglich habe ich formvollendete Nieren, eine berückende Leber
oder ein verheißungsvoll attraktives Dünndarmgeschlinge, mit dem ich quasi
jede Internistin um den Finger wickeln könnte. Vielleicht sollte ich bei
Gelegenheit ein paar zusätzliche Abzüge meiner Röntgenbilder machen lassen, um
in passenden Momenten, also auf Partys oder auch bei Essenseinladungen,
eventuell anwesende Ärztinnen mit den Aufnahmen meiner inneren Organe
beeindrucken zu können.
    Alles, was
man mir bislang diesbezüglich gezeigt hat, waren Ultraschallbilder von
kommenden Kindern. Soweit ich mich allerdings erinnere, hat mir noch nie eine
Frau so ein Ultraschallbild gezeigt. Es waren immer, immer die vor Stolz
platzenden Männer, die damit beifallheischend wedelten: «Guckma, guckma,
guckma, du, ich hab Bilder, richtige Bilder, willsma sehen hier, richtige
Bilder, hier, willsma sehen? Willsma sehen?»
    Ein «eigentlich nicht» war da
schnell überhört. Stattdessen musste man dringend Sachen sagen wie: «Boah, ist
das toll, das sind ja richtige Bilder, boah, das sieht ja toll aus, schon fast
wie ein Mensch sieht das aus, ganz der Vater, unglaublich, was heutzutage
technisch möglich ist, man sieht ja alles.» Dazu musste natürlich immer wieder
betont werden, wie wunderschön dieser helle Fleck auf dem schwarzen Ultraschall
doch ist. Sagte man mal etwas Ehrliches oder Sinnstiftendes wie: «Kaum zu
glauben, dass dieser kleine Knopf in gut sechzehn Jahren schon bekifft und
besoffen über der heimischen Kloschüssel hängen wird», erntete man in der Regel
weitaus mehr Kopfschütteln als Dank. Das galt selbst für sensibel humorvolle
Prophezeiungen wie: «Wenn man sich das mal vorstellt, dieser kleine süße Punkt
wird eines Tages ein großes Mädchen sein, das seine Eltern in der Pubertät
peinlich findet und sich vielleicht einen schönen Spaß daraus macht, Mutter und
Vater mit einem gefakten eigenen Ultraschallbild zu erschrecken.» Die
Lungenärztin betrachtet immer noch mein Röntgenbild. «Richtig hübsch», sagt
sie. «Äh, Sie finden meine Lunge schön?»
    «Ja, in der Tat, sehr symmetrisch,
klar in der Form, aber doch zart, fast filigran in den Ausführungen ...» Jetzt
werde ich wirklich ein bisschen rot. «Hm, wenn man Sie so sieht, kann man kaum
glauben, dass das Ihre Lunge ist.»
    «Bitte?»
    «Na ja, um
es kurz zu sagen: Ihre Lunge sieht schon sehr, sehr viel besser aus als Sie.»
    Teile der
Ärztin mit, dass wir in diesem Land freie Arztwahl haben und sie sich lieber
mal überlegen soll, was sie so sagt, weil ich sonst nämlich ...
    Sie lacht.
Offensichtlich denkt sie, ich hätte einen Witz gemacht.
    Ich
spreche noch etwas schärfer: «Das war kein Scherz, ich kann hier meine
Krankenkassenkarte nehmen und direkt...»
    Sie lacht
lauter: «Herr Evers, haben Sie gesehen, wie voll das Wartezimmer ist? Wie lange
haben Sie auf diesen Termin gewartet? Fünf Wochen? Sechs Wochen? Zwei Monate?
Meinetwegen können Sie Ihre Krankenkassenkarte mit Reißzwecken belegen und
aufessen. Das beeindruckt mich auch nicht. Wären Sie vor ein paar Jahren
gekommen, da dachte ich noch, oh, ich muss einfühlsam sein, ich darf meinen
Patienten nicht zu viel zumuten, ich muss ihnen immer sofort helfen, koste es,
was es wolle, jederzeit für jeden Verständnis und vor allem Zeit, ganz, ganz
viel Zeit haben. Das habe ich auch lange durchgehalten, ich hatte zwar Magendrücken,
war ständig müde, bekam nervöse Zuckungen, aber ich habe durchgehalten, bis zu dem
Tag, an dem mir endlich die Sicherungen durchgebrannt sind.»
    «Sie sind
zusammengebrochen? Ein Burn-out-Syndrom?»
    «Nein,
natürlich nicht. Ich habe meine Patienten angeschrien, richtig laut
angeschrien, dann habe ich ihnen fröhlich die Wahrheit gesagt oder ihnen irre
lachend ihre Fehler und Unzulänglichkeiten um die Ohren gehauen. Ich habe sie
warten lassen, richtig lange warten lassen und mich offen über ihre Gebrechen
lustig gemacht. Mir ging es plötzlich prächtig. Ich fühlte mich frei und
ausgeglichen. Aber das Allerbeste, meine Heilungs- und Erfolgsquote ist seitdem
um gut die Hälfte gestiegen!» Triumphierend schaute sie mich an. Ihre Augen
leuchteten.
    «Aber Ihre Patienten, die waren
doch bestimmt sauer, wenn Sie die so behandelt haben», versuchte ich zu
widersprechen.
    «Ach was, in Berlin kann man das
machen. Da gilt man dann als Original, die Leute hier können so was locker

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