Evers, Horst
geprägt.
Säugetier mit U
Dienstagnachmittag. Sitze am
Computer und versuche herauszubekommen, was es kostet, Fahrradskelette auf dem
Seeweg nach Südamerika zu schicken. Hm, wie es aussieht, ist das doch nicht
ganz so billig, wie ich gedacht hatte. Im Mailordner kommt eine neue Nachricht
rein. Von Facebook. Ach guck. «Hallo, Horst, Mahmud Ahmadinedschad möchte auf
Facebook mit dir befreundet sein.» Mmmh, Ahmadinedschad, Ahmadinedschad, woher
kenne ich den nochmal? Genau, das ist doch dieser irre Diktator aus dem Iran.
Stimmt, den kenn ich, also vom Namen her. Na dann. Drücke auf «Als Freund
bestätigen». Die Tochter kommt rein. Sie hat offensichtlich ein Problem.
- Papa, ich brauche ein Säugetier
mit U.
- Warum?
- Das ist unsere Hausaufgabe. Wir
sollen für jeden Anfangsbuchstaben ein Säugetier finden. Aber mit U fällt mir
einfach keins ein.
- Na, jetzt überleg mal richtig, so
schwer ist das doch nicht.
- Ich hab schon ewig überlegt. Es
gibt einfach kein Säugetier mit U.
- Natürlich gibt es eins.
- Dann sag.
- Es ist nicht der Sinn von
Hausaufgaben, dass die Eltern sie machen.
- Du weißt also auch keins. Egal,
dann ruf ich Maike an, deren Vater weiß bestimmt eins, weil, der ist richtig
schlau. Ich erschrecke und schaue erstmals vom Computerbildschirm auf.
- Was genau meinst du mit «richtig
schlau»? Sie blinzelt verlegen.
- Na, also, ich meine, du bist
natürlich auch schlau. Aber Maikes Vater, na ja,
der ist eben nochmal anders schlau, also wenn der keins weiß, dann weiß sicher
keiner ein Säugetier mit U.
- Einen Moment bitte. Du rufst
niemanden an.
Ich google
sofort «Säugetier mit U». Das wollen wir doch mal sehen, wer hier auch schlau
ist. Auch schlau, wie das schon klingt. Ich
will nicht auch schlau sein. Das klingt wie auch wichtig.
Die Spieler beispielsweise, die bei einer Fußball-WM nie zum Einsatz kommen,
sondern immer nur auf der Bank sitzen, über solche Spieler sagt man, sie seien auch wichtig.
Verdammt,
laut Google gibt es tatsächlich kein Säugetier mit U. Vögel, Fische, Amphibien,
Reptilien, alles da mit U, aber kein Säugetier. Die Tochter schielt auf den
Bildschirm. Sie triumphiert:
- Siehste! Ich hatte recht und du
nicht. Denke, na, das fehlte noch, und sage:
- Schreib: Ulan-Ratte.
- Was?
- Ulan-Ratte.
- Papa, die gibt es doch gar nicht,
die hast du dir doch jetzt bestimmt wieder nur ausgedacht, oder?
- Nein, die ist eben nur wenig
bekannt hierzulande, die Ulan-Ratte. Die ist nämlich eine russische Verwandte
der hiesigen Bisamratte. In Russland kennt die jeder.
Ihre
Stimme bekommt etwas Flehentliches:
- Papaaaa.
- Hör auf deinen Vater und schreib
das! Das ist super. Komm, das kontrolliert doch niemals jemand nach, dann bist
du die Einzige, die ein Tier mit U hat, und bekommst eine Supernote.
Das Kind
schaut skeptisch, geht dann aber raus. Ha, was gibt es Schöneres, als seinem
Kind helfen zu dürfen. Schon wieder Post von Facebook. Mahmud Ahmadinedschad
schlägt mir Hugo Chanvez, Kim Jongil, Silvio Berlusconi, Tony Blair, Rainer
Brüderle und Thilo Sarrazin als Freunde vor. Ach Gott, ach Gott. Bestätige
alle.
Am
nächsten Tag kommt die Tochter mit bitterer Miene aus der Schule. Ich versuche
sie aufzumuntern:
- Na, was ist dir denn in den Kakao
getropft?
- Ich habe eine Drei bekommen. In
der Säugetieraufgabe.
- Was? Frechheit! Obwohl du für alle
Buchstaben was hattest?
- Weil ich für alle Buchstaben was hatte. Frau Schnabel hat mir
fünf Punkte abgezogen, weil ich mir einfach ein Tier ausgedacht habe.
- Echt? Welches Tier hast du dir
denn ausgedacht?
- Du! Du hast dir die Ulan-Ratte
ausgedacht. Und deshalb habe ich jetzt fünf Punkte Abzug.
Sie schaut
mich in einer Mischung aus Wut und Enttäuschung an. Wie ähnlich sie manchmal
ihrer Mutter ist. Vielleicht aus schlechtem Gewissen, vielleicht aber auch aus
Trotz höre ich mich sagen:
- Ach so, die Ulan-Ratte. Aber die
ist gar nicht ausgedacht, die gibt es wirklich.
- Echt?
- Natürlich, sonst hätte ich sie dir
doch niemals vorgeschlagen. Die gibt es, und ich werde das deiner Lehrerin
auch beweisen! Wirst sehn, dann kriegste deine fünf Punkte zurück.
- Ehrlich? Danke, Papa!
Sie nimmt
mich in den Arm und geht dann fröhlich singend raus. Ich bin erleichtert,
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