Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evers, Horst

Evers, Horst

Titel: Evers, Horst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fuer Eile habe ich keine Zeit
Vom Netzwerk:
das als Literaturnobelpreisträgerin im Alltag auch
überhaupt nicht. Denn von einer Literaturnobelpreisträgerin würde man
natürlich schon erwarten, dass die dann so ein bisschen anders fragt, ob der
Platz frei ist, zum Beispiel. Also vielleicht so etwas sagt wie:
    «Ob ich im
Räume neben mir womöglich noch Vakanzen spür?»
    So
sprechen im Bus ja normalerweise nur die allerwenigsten. Aber als
Literaturnobelpreisträgerin, da wäre man dann natürlich schon irgendwie
gefordert. Also wäre den anderen Fahrgästen gegenüber ein wenig in der
Bringschuld, gerade auch sprachlich. Und wenn man erst mal damit angefangen
hätte, würde so was dann ja sicherlich auch anstecken. Ich würde wohl
versuchen, mal ein bisschen gewählter zu antworten, vielleicht in etwa so:
    «Der Sitz
noch warm vom Vordermann, und doch, ich biet ihn gerne an.»
    Natürlich
würde so eine Sprache die Lebensqualität von uns allen erhöhen. Logisch, das
wäre ein ganz anderes Lebensgefühl. Aber an diesen sprachlichen Anforderungen
erahnt man auch schon, dass so ein Literaturnobelpreis Ehre und Bürde zugleich
ist. Wenn ich Literaturnobelpreisträger wäre, würde ich, so glaube ich
zumindest, sowieso nur noch in Reimen sprechen. Um sozusagen auf Nummer sicher
zu gehen, weil, wie sagt der Volksmund so schön: «Es ist sprachästhetisch
immer gut, wenn der Satz sich reimen tut.» Da wäre ich dann also quasi auf der
sicheren Seite mit meinen Reimen. Denn grundsätzlich hätte ich ja schon ein
bisschen ein schlechtes Gewissen, wenn ich den Literaturnobelpreis bekäme. Ich
meine, klar, die Reime sind einwandfrei, auch vom Metrum her, kann man
eigentlich nichts sagen. Aber dafür gleich den Literaturnobelpreis bekommen?
Ich weiß ja nicht. Da käme ich mir dann schon ein wenig vor wie Barack Obama.
Dem war das ja letztlich auch irgendwie unangenehm mit diesem
Friedensnobelpreis. In meiner Kindheit gab es den alten Diekmann, vom Landmaschinenbau
und Landmaschinenhandel Diekmann im Landkreis Diepholz. Dieser alte Diekmann,
hieß es, habe seinen Lehrlingen morgens immer erst mal eine runtergehauen.
Ohne Grund. Vermeintlich. Weil, dafür hatten sie dann im Verlauf des Tages eine
Dummheit frei. So ähnlich wie diese Ohrfeige muss man sich wohl auch die
Vergabe des Friedensnobelpreises an Barack Obama vorstellen. «Einfach so
weiterleben wie bisher ...», sagt der erste Junge noch einmal.
    «Aber»,
sagt der andere, «Geld haben, das man nicht ausgeben darf - wozu hat man das
denn dann überhaupt? Ich meine, Geld, das man nicht ausgibt, ist doch irgendwie
völlig unnütz.»
    Dafür nun hätte ich ihm am
liebsten direkt den Wirtschaftsnobelpreis verliehen. Der Fahrer sagt durchs
Mikro: «Da sind wir auch schon blitzeschnelle, hier an der Endhaltestelle.
Jetzt alle raus aus meinem Bus, wer will, kriegt noch von mir 'nen Kuss.»
Wobei, diese letzten vier Zeilen habe ich mir jetzt ausgedacht.
     
    Niedersächsischer Herbst
     
    Wer im
November in Berlin aus dem Fenster schaut und denkt: Oh, Herbst, es ist Herbst,
dunkel, dunkel, grau, grau, Herbst, richtig Herbst, wer jetzt allein ist, wird
es lange bleiben, Herbst, die Blätter fallen, die Natur ist saft- und kraftlos,
so wie ich, ich bin wie ein müder Baum im Herbst, nur dass ich auch noch
friere, ja, ich friere, es ist kalt, Herbst, Baum, das bin ich, ein frierender,
kalter Baum im Herbst, Herbst, Herbst, so wird es von nun an bleiben, Herbst,
ich bin der Herbst... Wer also denkt: Herbst in Berlin sei so deprimierend,
deprimierender geht es gar nicht, der hat noch keinen Herbst in Niedersachsen
erlebt. Das ist Herbst. Aber so richtig! Herbst mit allem Berliner
Schnickschnack, doch dazu scharfer, kalter Wind, kombiniert mit einem niemals
endenden Nieselregen. Gäbe es so was wie Depressionstourismus, es würden Depressionshungrige
aus aller Welt kommen, um sich den Herbst in Niedersachsen anzugucken. Ein
besseres, ein kompletteres Depression-all-inclusive-Angebot findet man nirgends.
Und der Landkreis Diepholz wäre wahrscheinlich so etwas wie der Ballermann der
Depressionsfreunde. Wer, wie ich, dort aufgewachsen ist, dem gefällt das. Denn
der trägt diesen niedersächsischen Herbst ohnehin tief, tief in sich, in seiner
tiefen niedersächsischen Seele. Nicht von ungefähr heißt es: Je flacher die
Gegend, desto tiefer die Seele und der Blick ins Glas.
    Ich fahre
gern im Herbst nach Niedersachsen. Für mich ist das wirkliches Heimkommen.
Diese allgemeine herbstlichdepressive Grundhaltung hat etwas

Weitere Kostenlose Bücher