Evers, Horst
lang und zu breit, weshalb sie gern in
irgendwelchen Kaffeetassen hängen, wodurch Philipp permanent tropft oder suppt.
Die vordere Seite des Pullovers ist leider deutlich breiter geraten als die
hintere, wodurch es vorne zu Verwerfungen kommt, die aussehen, als würde
Philipp etwas unter dem Pullover verstecken. Etwas Lebendiges. So was wie ein
unförmiges Kaninchen oder drei nervöse, zappelige Nacktmulle, die vor seinem
Bauch Tai-Chi oder etwas Ähnliches machen. Das Bitterste jedoch ist: Die Wolle
muss auch irgendwas enthalten, was Philipp oder zumindest Philipps Haut nicht
sehr gut verträgt. Sein Gesicht ist sauerkirschrot, und er atmet auch relativ
schwer. Und trotzdem quält sich Philipp ein Lächeln ab. Denn er ist ein toller
Vater. Ein hammermäßig toller Vater. Keine Frage. Das wussten aber eigentlich
alle auch schon vorher. Doch jetzt, wie er da so tapfer sitzt in dieser
dunkelbeigen Einzelzelle, mit drei Nacktmullen am Bauch, rot leuchtend und
tropfend - damit hängt er alle anderen Väter auf ewig ab. Das können wir nicht
mehr toppen. Nie mehr.
Ich bin
neidisch. Natürlich könnte ich meine Tochter zwingen, mir auch so einen
entwürdigenden Pullover zu stricken. Aber was, wenn ihrer dann doch ganz toll
wird? Dann wirke ich wie ein Angebervater, weil mein Premiumkind so
phantastisch stricken kann. Das Philippsche Pulloveropfer erreiche ich auf
diese Weise sicher nicht. Jana sagt, sie findet es schön, wenn Kinder
heutzutage noch stricken lernen.
Ich sage:
«Wieso soll er das lernen? Den Pullover hat er doch auch so fertiggekriegt.»
Jana
lächelt. Gequält zwar, aber immerhin, sie lächelt. Dann flüstert sie, ich solle
so etwas bloß nicht gegenüber Konrad, dem Sohn, andeuten. Man wolle ihn nicht
entmutigen. Warum nicht entmutigen? Wenn es jemals einen Grund gab, jemanden zu
entmutigen, dann ist es doch wohl dieser Wolltorso. Das, was ich als Kind
gestrickt habe, war sehr, sehr viel weniger schlimm als Konrads
Katastrophenpullover. Und trotzdem wurde das am Ende immer wieder aufgeribbelt.
Sonst hätte es einem ja leid um die schöne Wolle getan. Alles wurde wieder
aufgeribbelt. Und hat es mir geschadet? Null, es hat mir überhaupt nicht
geschadet! Kein bisschen. Heute habe ich das doch längst schon alles wieder
vergessen! Man muss den Kindern auch einmal die Wahrheit sagen. Wo soll das
denn sonst hinführen? Irgendwann sind sie beispielsweise Physiker oder
Physikerin, haben ihr erstes eigenes Schwarzes Loch produziert, und man sagt
platzend vor Stolz: «Oh, da hast du aber ein schönes Schwarzes Loch produziert.
Hui, wie hübsch. Richtige Antimaterie, toll. Und wie schön sich das ausdehnt.
Guck mal, immer weiter und weiter und weiter, so schön, irgendwann hat das
bestimmt alle Materie, alles hier und auch uns geschluckt, guck mal, es kommt
näher, näher - wupp!»
Andererseits
ist es natürlich auch wirklich schwierig geworden, ein guter Vater zu sein.
Früher, in meiner Kindheit, da reichte es ja praktisch, wenn man das Kind nicht
körperlich bestraft hat. Man brauchte nur das Kind nicht zu schlagen, und
zack!, schon war man quasi ein guter Vater. Früher waren die Anforderungen an
Väter noch überschaubar. Die Kinder haben noch ständig Sachen falsch gemacht,
heute machen nur noch die Eltern Fehler. Und selbstmitleidig sind sie
obendrein.
Tja, wenn
ich einen Sohn hätte, dann könnte ich dem immerhin mein enormes Wissen über
Frauen mitgeben. Das wäre noch was. Dann bekäme er so nützliche Tipps wie:
«Junge, wenn es dir schwerfällt, mit Frauen zu reden, also dieser ganze Bereich
Gespräch, Kommunikation, Zuhören und so, wenn du da nicht so richtig zurande
kommst, dann zieh dir eben einfach einen hässlichen Pullover an, das geht oft
genauso gut.»
Als ich
gehen will, drückt Jana mir noch ein Geschenk in die Hand: «Hier, von uns, zu
Weihnachten. Dieser braune Blumenübertopf hat dir doch immer so gut gefallen,
und du hast immer gesagt, wie sehr du dich für uns freust, dass wir so einen
tollen Topf haben. Wir finden ihn eigentlich gar nicht so besonders, wissen
offen gestanden nicht einmal genau, wo wir ihn herhaben. Da dachten wir,
schenken wir ihn dir, damit du eine Freude hast.»
Ich lächle
und bedanke mich tapfer. Na wunderbar, jetzt muss ich wegen des Topfes auch
noch eine neue Wohnung suchen. Als hätte man mit den Kindern nicht schon genug
um die Ohren.
Wann lacht der Eskimo?
Die
Eskimos, so heißt es, haben rund dreißig verschiedene Wörter für Schnee.
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