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Evers, Horst

Evers, Horst

Titel: Evers, Horst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fuer Eile habe ich keine Zeit
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Obwohl, wenn ich ihn jetzt mal etwas
genauer ansehe, soooo ähnlich sieht er dem ja nun auch wieder nicht, wahrscheinlich
bemerkt er diese Ähnlichkeit selbst gar nicht. Das ist mir ja quasi genauso
gegangen. Ich habe wohl auch lange praktisch so ausgesehen wie Brad Pitt und es
selbst gar nicht gemerkt. Erst kürzlich, als eine vermeintliche Freundin zu mir
sagte: «Na, wie Brad Pitt siehst du aber auch nicht mehr aus», wurde mir klar,
dass da mal eine Ähnlichkeit gewesen sein muss. Tja, die Zeiten sind ja jetzt
vorbei. Wobei ich mir ohnehin nicht so viel aus Äußerlichkeiten mache, also zumindest
bei mir selbst nicht. Wie ich selbst aussehe, erfahre ich eigentlich immer erst
von anderen. Wahrscheinlich geht es dem Taxifahrer ähnlich. Vermutlich weiß der
gar nichts von seiner Ähnlichkeit mit Dirk Niebel, und das ist letzten Endes
wohl auch besser so, denn so etwas möchte man ja wirklich lieber gar nicht
wissen. Er spricht mich an:
    -     Ist irgendwas?
    -     Äh, nein, wieso?
    -     Na, weil Sie mich die ganze Zeit
so angucken, als wenn irgendwas war.
    -     Ich? Nein! Nein, ich guck Sie nicht
an, warum auch, ich mein, was soll denn schon sein? Warum sollte ich Sie angucken?
    -     Ist es, weil ich aussehe wie Dirk
Niebel?
    -     Was?
    -     Dirk Niebel. Starren Sie mich
deshalb so an? Weil ich aussehe wie Dirk Niebel?
    -     Was? Nein! Sie sehen doch nicht
aus wie Dirk Niebel, wer sagt denn so was?
    -     Alle! Alle sagen das. Und Sie, Sie
denken das auch! Das sehe ich doch.
    -     Nein, ich weiß auch gar nicht ...
Wer ist denn überhaupt dieser Dirk Niebel, von dem Sie da immer reden?
    -     Sie wissen ganz genau, wer Dirk
Niebel ist! Ganz genau wissen Sie das. Das seh ich doch. Schon beim Einsteigen
seh ich einem Fahrgast an, ob er mich für Dirk Niebel halten wird oder nicht.
Glauben Sie mir, dafür habe ich mittlerweile ein Gespür entwickelt. Nach
Talkshows ist es besonders schlimm. Wenn Dirk Niebel irgendwo zu Gast war, dann
ist es am nächsten Tag die Hölle. Jedes Mal, wenn ich sehe oder lese, er ist
wieder bei Anne Will oder Maybrit Illner oder Frank Piasberg oder wo auch immer
eingeladen, habe ich Angst. Weil ich schon weiß, was wieder auf mich zukommen
wird. Andererseits hoffe ich aber auch: Vielleicht macht er sich ja einmal
nicht zum völligen Idioten, vielleicht sagt er ja einmal was Kluges, was nicht
so völlig Bescheuertes oder Widerwärtiges wie normal. Aber nichts. Nie, nichts,
niemals kommt was Brauchbares, Angenehmes oder wenigstens Erträgliches aus
Dirk Niebel raus. Nie.
    Unter
Tränen fährt er rechts ran. Dann erzählt er mir seine ganze Geschichte. Dass er
eine Familie hatte früher und bei der Bank gearbeitet hat, als Filialleiter.
Aber dann sei Dirk Niebel aufgetaucht, in der Politik, dieser Dirk Niebel, der
idiotischerweise genauso aussieht wie er. Anfangs haben alle nur gelacht,
getuschelt, blöde Witze gemacht. Aber dann haben die Kunden plötzlich das
Vertrauen verloren.
    Nein, von
Dirk Niebel will niemand einen Kredit, und erst recht vertraut keiner Dirk
Niebel sein Erspartes an. Er hat versucht, seinen Typ zu ändern, stark
zuzunehmen, aber dann ist Dirk Niebel prompt auch dicker geworden. Was immer er
auch unternommen hat, die Ähnlichkeit mit Dirk Niebel blieb. Dann musste er bei
der Bank aufhören und wurde Taxifahrer, aber dadurch wurde alles nur noch viel
schlimmer. Jeder Kunde, nach jeder Talkshow, immer das Getuschel, Gelächter,
Gestarre ... Die Frau habe ihn auch verlassen, er könne es ihr eigentlich nicht
verdenken, so angespannt, wie er am Ende war, und dann der Schreck für sie
jeden Morgen, immer aufwachen und denken, da liegt Dirk Niebel, Dirk Niebel
liegt neben mir im Bett, Dirk Niebel! Das war auch nicht einfach für sie. Seine
einzige Hoffnung sei eine Operation, aber die koste Geld, viel, viel Geld, das
er nicht habe und ... Der Rest seiner Geschichte geht in einem Schluchzen
unter.
    Ich gebe
ihm ein großes, ein richtig großes, ach was, ein riesiges Trinkgeld, steige
aus und gehe zu einem anderen Taxi vom Stand gegenüber.
    Der Fahrer
schaut zu dem Taxi, mit dem ich gekommen bin, und sagt: «Ach Gottchen, hat er
wieder seine Dirk-Niebel-Nummer abgezogen?»
    «Ja,
allerdings, der arme Mann, das muss wirklich furchtbar sein.»
    «Na ja,
arm, ich weiß ja nicht. Jeden Morgen steht der am Taxistand und schminkt sich
ewig, bis er aber auch echt haargenau wie Dirk Niebel aussieht. Jeden Morgen
macht der das. Aber na ja, ich

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