Evers, Horst
philosophiert, aber wegen der
Scooter-Beschallung hat Rosi ein paar Riesenkopfhörer auf, mit denen sie
vermutlich nochmal etwas anderes hört. Vielleicht Entspannungs- oder
Meditationsmusik. Das würde zumindest das Tempo ihrer Bewegungen erklären.
Wobei Tempo hier natürlich das völlig falsche Wort ist. Nachdem ich, wegen der
Umstände wortlos, auf mein eigentliches Wunschgetränk, den alkoholfreien
Punsch, gezeigt habe, zeigt sie nur kurz kopfschüttelnd auf den alkoholfreien
Glühwein mit Schuss und bereitet ihn dann in sehr, sehr ruhigen, anmutigen, in
höchstem körperlichem Bewusstsein ausgeführten Bewegungen zu. Nachdem sie ihn
mir überreicht und kassiert hat, kehrt sie wieder in ihre meditative Grundfigur
zurück, dem «traumwachen Kranich im Auge des Sturms». Ich hingegen fühle mich
nun bereit für meine vierte Prüfung und will mir Schlittschuhe leihen. Der
kleine, böse Mann bemerkt die Gefahr zu spät. Als ich plötzlich vor seiner Butze
stehe und den Mund bewege, wird ihm wohl klar, dass ich mit ihm rede. Dann
bewegt auch er den Mund. Wahrscheinlich unterhalten wir uns jetzt. Leider
versteht man natürlich kein Wort, aber beide bewegen wir jetzt unsere Münder,
und das ist ja das Wichtigste, dass man irgendwie miteinander redet. Nachdem
wir so eine Weile beide angeregt unsere Münder bewegt haben, gibt er mir
plötzlich ein Paar Schlittschuhe. Genau meine Größe. Keine Frage, rein
fachlich kann ihm vermutlich als Schlittschuhverleiher kaum jemand das Wasser
reichen. Ich gebe ihm wahllos ein paar Münzen aus der Hosentasche, er nickt.
Und dann,
nur zwei Minuten später, laufe ich Schlittschuh. Zum ersten Mal wieder nach
über zwanzig Jahren. Es gibt Dinge im Leben, die verlernt man einfach nicht. So
wie Fahrradfahren oder ohne Besteck und Hände Spaghetti essen oder seinen Namen
in den Schnee pinkeln. Schlittschuhlaufen gehört leider nicht zu diesen
Dingen. Das bemerke ich sehr schnell, also nach ungefähr einem halben Schritt,
als ich schon die erste Eiskunstlauffigur versuche, den dreifach gestolperten
Pinguin, bei dem ich zügig hinknalle, vier Meter übers Eis schlittere und dann
gegen die Bande krache.
Als ich
kurze Zeit später die Schuhe zurückgebe, sehe ich, wie der verbitterte,
luftgetrocknete Mann tatsächlich lächelt. Richtig breit und herzlich. Dann
macht er plötzlich die Musik aus, flüstert «Danke» und gibt mir die Leihgebühr
zurück: «Ist schon in Ordnung, Sie haben die Schuhe ja kaum benutzt. Also
zumindest nicht, um draufzustehen.» Auch Rosi, Ewald und Didi nicken mir
fröhlich zu, als ich mich über den Marktplatz zurückschleppe: «Das war mal eine
schöne Abwechslung. Wollen Sie noch eine Weihnachtswurst? Geht aufs Haus!»,
ruft Didi aus seiner Bude. Ich lehne tapfer lachend ab, und die drei winken mir
zum Abschied. Rund fünfzig Meter bin ich wohl schon vom Markt entfernt, als ich
höre, wie «Hyper! Hyper!» wieder aufgedreht wird. Es hilft ja nichts. The show
must go on. Das gilt natürlich auch für Eislaufbahnen.
In der Gewalt der Schlummertaste
Ich habe
zu Weihnachten einen Wecker mit Schlummertaste geschenkt bekommen. Also so
eine Taste, wo man draufschlagen kann, und dann ist nochmal zehn Minuten Ruhe,
bis der Wecker das nächste Mal tutet. Es ist bestimmt mehr als zehn Jahre her,
dass ich das letzte Mal einen Wecker mit Schlummertaste hatte. Damals war ich
der König der Schlummertaste. Ganze Tage habe ich seinerzeit damit verbracht,
immer und immer wieder auf die Schlummertaste zu hauen. Mein Rekord aus jener
Zeit steht bei fast sechsunddreißig Stunden Schlummertaste. Zwischendrin, also
in diesen sechsunddreißig Stunden, muss ich aber auch ein paarmal so richtig
weggeschlafen sein und hab deshalb wohl den ein oder anderen Schlummertastentutalarm
verpasst. Wie dem auch sei. Sechsunddreißig Stunden. Nicht schlecht. Und
mental, also von meiner Willensstärke her, hätte ich sogar noch länger die
Schlummertaste drücken können. Aber der Rücken. Ah. Der hat's leider nicht mehr
gepackt. Für so ein langes Liegen brauchte man eine ganz andere
Rückenmuskulatur, ein ganz anderes Trainingsprogramm, und dafür fehlt mir ja
leider die Zeit. Den neuen Wecker habe ich übrigens von der Tochter bekommen.
Schon im Herbst hatte sie mal davon erzählt, dass in anderen Familien die
Eltern vor den Kindern aufstehen, Frühstück machen und die Schulsachen
vorbereiten, Sportzeug und all den anderen Kram, bevor sie dann die Kinder wecken.
Ich habe
ihr erklärt,
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