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Evers, Horst

Evers, Horst

Titel: Evers, Horst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fuer Eile habe ich keine Zeit
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dass ich, wenn es nur nach mir ginge, das ja auch gerne so machen
würde. Aber leider ist das nicht möglich. Wegen ihrer Erziehung. Die große
Gefahr heutzutage ist doch, dass man die Kinder zu sehr verwöhnt und die dann
nichts anderes kennen, als sich immer nur an den gedeckten Tisch zu setzen. Wie
schnell ist es passiert, dass man ihnen alles vor- und nachträgt. Dem jungen
Prinzen, der lieblichen Prinzessin. Und später, als junge Erwachsene, sind sie
dann von den Anforderungen der Wirklichkeit völlig überfordert. Und diese
Anforderungen werden ja enorm sein. Bedenkt man, was für Schuldenberge und was
für eine runtergerockte Welt wir ihnen hinterlassen. Und dann müssen ja auch
noch die Alten, also wir, gepflegt, gefüttert und unterhalten werden. Das wird
nicht leicht für die jungen Leute. Das kriegen die doch niemals geregelt, wenn
wir sie heute ständig verwöhnen. Deshalb zwinge ich mich, bis zur letzten
Sekunde im Bett liegen zu bleiben, das Kind das Frühstück machen zu lassen, um
dann stets in mittelgroßer Eile zur Schule zu hetzen.
    Das ist
nicht einfach. Niemand soll glauben, dass mir das leichtfallen würde. Natürlich
wäre ich auch lieber der tolle, fürsorgliche
Früh-aufsteh-und-alles-vorbereit-Papa, aber ich bin leider zu verantwortungsbewusst,
um mir das Leben so leicht zu machen.
    Deshalb
habe ich also von der Tochter diesen Wecker bekommen, damit ich doch
einigermaßen zeitig aus dem Bett getutet werde. Aber da hat sie die Rechnung
ohne die Schlummertaste gemacht. Wobei, endlos Schlummertaste geht gar nicht.
Beim neuen Wecker schaltet sich die Schlummerfunktion nach dem fünften Mal von
selbst aus. Theoretisch könnte ich das zwar durch Drücken einer ausgefuchsten
Tastenkombination anders einstellen. Theoretisch könnte ich auch mit meinem
Handy eine Endeavour-Raumfähre steuern. Praktisch kann ich damit nicht mal eine
MMS-Bildnachricht öffnen. Also zumindest glaube ich, dass ich so was bekommen
habe von meinem zehnjährigen Patenkind, das überhaupt nicht fassen kann, dass
ich eine MMS-Bildnachricht nicht öffnen kann. Das Patenkind behauptet, solche
Handys gäbe es gar nicht mehr, die MMS-Bildnachrichten nicht öffnen können. Ich
hätte das bestimmt nur unterdrückt. Na wunderbar, so weit sind wir also schon,
dass ich mir vorwerfen lassen muss, ich würde mein Handy unterdrücken.
    Gut, das
Ändern der Schlummertasteneinrichtung war dann wohl doch nicht so übermäßig
kompliziert. Zumindest hat meine achtjährige Tochter die
Schlummertastenfunktion mittlerweile ganz ausgeschaltet. Sie sagt, sie würde
sie wieder einschalten, wenn ich dafür morgens vor ihr aufstehe und Frühstück
mache. Möglicherweise ist sie doch schon ganz gut auf die Anforderungen dieser
Welt vorbereitet. Besser jedenfalls als ich.
     
    Der Nikolaus kommt früh nach Haus
     
    Kürzlich
habe ich Mirko Kumbat in der U-Bahn getroffen. Mirko ist der jüngste Sohn der
Kumbats, mittlerweile ist er aber auch schon vierundzwanzig und glaubt nicht
mehr an den Weihnachtsmann. Gott sei Dank, weil, sonst müsste ich vermutlich
immer noch bei den Kumbats zur Bescherung Weihnachtsmann spielen.
    Mit den
Kumbats verbindet mich eines der fraglos unangenehmsten Erlebnisse meines
Lebens. Es war vor gut zwanzig Jahren in meinen ersten Wochen in Berlin. Damals
waren die Wohnungen hier noch sehr, sehr knapp. Erst recht die billigen. Die
ersten drei Monate in Berlin habe ich deshalb in vier verschiedenen Wohnungen
gewohnt, immer nur für zwei, drei Wochen auf Zeit. Anfang Dezember hatte ich
ein Zimmer in einer WG gefunden, im vierten Stock eines Hauses, wo im zweiten
Stock die Kumbats wohnten. Die Kumbats hatten drei Söhne, was ich aber bis zum
Morgen des 6. Dezember noch gar nicht so richtig wusste und was mich bis dahin
nun eigentlich auch überhaupt nicht interessiert hatte, denn ich hatte
wahrlich genug anderes um die Ohren. Um es kurz zusammenzufassen: Ich war
damals neu in Berlin, ich war jung, und es war eine wilde Zeit. Für andere
vielleicht nicht so, aber für ein völliges Landei, das komplett überfordert war
von den Versuchungen der Großstadt, für dieses Landei war das schon eine
verdammt wilde Zeit. In der Nacht zum 6. Dezember nun, also der Nacht vor
Nikolaus, kam jetzt ebendieses Landei, nennen wir es der Einfachheit halber
mal: «er», er kam also gegen fünf Uhr morgens sehr betrunken und, das ist ja
häufig, wenn man betrunken ist, auch sehr, sehr hungrig heim und begann den
äußerst beschwerlichen Aufstieg in

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