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Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonid Leonow
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verwaschen, die Schneegrate des Hochkaukasus. Zweimal wehte ihr schneidende feuchte Kälte ins Gesicht, und da fühlte Evgenia Ivanovna sich eilig bemüßigt, vor ihrem Eintreffen in der georgischen Hauptstadt herauszufinden, was eigentlich mit ihr geschah. In Tiflis kamen sie glücklich zurecht, dem Gastspiel einer berühmten Primadonna noch aus dem alten Petersburg beizuwohnen, deren voller getragener Sopran die Kenner schon seit anderthalb Generationen in Entzücken versetzte. Der Spaß begann um acht, und nachdem sie kurz geruht, schauten die Pickerings, auf dem Weg zum Konzert, zur Hoteldirektion hinein zur Klärung des weiteren Programms. Hier hatten sich sämtliche Hotelchefs versammelt, um die eingetroffenen Freunde des schönen Georgiens zu bewillkommnen. Mit einem tiefen Seufzer betrat Evgenia Ivanovna den prunkvollen Raum, ausgestattet mit einer Fülle schmeichelnder Portieren und andern erlesenen Dingen der Behaglichkeit und des Komforts aus dem Mobiliar der seligen Bourgeoisie.
    »Chachulja«, sprach mit sonorer Kehlkopfstimme der Hoteldirektor, in grüner Bluse hinter seinem überdimensionalen Schreibtisch, indem er den Gästen seine gleichfalls achtunggebietende Rechte entgegenstreckte und es ihnen überließ, den Sinn des Wortes zu enträtseln, und alle krächzten, und wer einen Schnurrbart hatte, strich ihn mit Würde. Ein Gespräch entspann sich um die Beschwerlichkeiten des Nachkriegsreisens, und unterdessen zog ein Wandgemälde im Stil eines treuherzigen Realismus die Aufmerksamkeit beider Pickerings gleichzeitig auf sich. Aus gediegenem Rahmen blickte ein jugendlich rüstiger Alter mit schwarzer Filzmütze auf dem Kopf; glückstrahlend lagerte er im Schatten einer Rebenlaube, das Trinkhorn in der Hand, und im Hintergrund loderte die Abendröte, als sei ein Schlauch flüssiger Flammen aufgeschlitzt worden.
    »Sie sehen darauf das sonnige Kachetien«, erläuterte der Chef des Ganzen, geschmeichelt vom Interesse der prominenten Fremden. »Wie namhafte Professoren der Medizin bezeugen, ist es klimatisch eine der schönsten Gegenden … Also gut, fahren sie übers Alasan-Tal. Vor allem werden Sie dann nie vergessen, was georgische Gastfreundschaft und Herzlichkeit bedeuten«, schloß er, und augenblicks, in Sekundierung ihres Chefs, gestikulierten und plapperten alle andern los, von heilsamer Luft, grenzenloser Stille und den sonstigen Vorzügen dieses herrlichsten aller Erdenwinkel.
    Da der Engländer Absichten und Pläne seiner Frau kannte, sah er sie fragend an, aber die, beglückt und glühend, war dem Zwang einer so innigen Gastfreundschaft schon erlegen. In der Tat, dieser Kachetien-Abstecher würde ihr, bevor die Hauptsache geschah, Zeit lassen zum Überlegen, wozu sie vor lauter Rüttelei und Aufregung gar nicht gekommen war; ein zögerndes Kopfneigen wurde mit einmütigem Beifall seitens der Gastgeber aufgenommen. Chachulja versprach, den besten Guide des gesamten Kaukasus herzubeordern, und trompetete einen beängstigend bekannten Namen ins Telefon, der allerdings in Sprühfeuer grusinischer Vokabeln unterging. Wenig später, während Evgenia Ivanovna noch mit der Ohnmacht kämpfte, trat der lebendige Stratonow hinter ihr ins Zimmer. Sie erkannte ihn im Spiegel an seiner alten hellbraunen Kordjacke mit Gummizug und den nicht weniger abgewetzten Hosen in blankgewienerten Ledergamaschen, die gleichfalls noch aus der Konstantinopler Zeit stammten. Allerhand Riemchen und Ringe am Gürtel des Cicerone lenkten die Aufmerksamkeit auf sich, eine Kartentasche baumelte über seiner Schulter, schiefgetretene doppelsohlige Bergstiefel vervollständigten die Kostümierung des passionierten Bergsteigers. Um seine berühmten Touristen nicht mit Belanglosigkeiten zu behelligen, stellte der Direktor den Guide gar nicht erst vor, auch der selbst hatte kaum einen Blick für die Fremden. Aber dann, bei der Erörterung der Reiseroute wollte dem Engländer eine russische Wendung nicht einfallen, und Evgenia Ivanovna half übersetzen. Beim Klang ihrer Stimme schoß Stratonow einen Blick in ihren Nacken und schnitt eine Grimasse, als habe er eins mit der Peitsche übergekriegt. Es war, als bliebe ihm die Luft weg und er würde gleich sterben. Evgenia Ivanovna sah schräg im Spiegel, wie er, wieder ein wenig zu sich gekommen, verzweifelt nach einem Platz zum Sitzen ausspähte, um nicht allein zu stehen, aber auf dem einzigen freien Sessel lagen die Mäntel der Pickerings. Da lehnte er sich mit selbstbewußter Miene

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