Evgenia Ivanovna
Bettlaken hindurch.
Die ungewisse Empfindung seiner Nähe verfolgte sie für den Rest dieser Nacht: nur mit Schlaf konnte sie ihn abwehren. So tat sie denn auch. Gewiß, kaum schlossen sich die Lider, war er nicht mehr zu sehen, doch gleich war er wieder da, griff zu mit seinem ganzen Wesen, da half kein Wehren, lebendig, ohne alle Makel, die sie gestern so bemüht an ihm entdeckt hatte. So fest knäuelten sie sich ineinander, daß nicht mehr zu unterscheiden war, wo er aufhörte und sie anfing … Auf einmal wuchs das Schlafzimmer zur Größe eines Platzes auseinander, auf dem festlich gekleidete Leute wogten. Das Bett, einem Katafalk ähnlich, rollte durch die zerflutende Menge, die den Vorgang heuchlerisch übersah.
Von einem kitzelnden Lufthauch an den Füßen wachte sie auf. Die Decke war zu Boden gerutscht. Auf dem Nachttisch lagen zwei Rosen, die vorher nicht dagewesen waren. Mr. Pickering saß in gleicher Haltung und am gleichen Platz, nur angekleidet und rasiert, das Nachschlagewerk auf den Knien. Der Windzug bewegte die Blütenblätter des Offsetpapiers. Während sie ihren leichtsinnigen Abenteuern frönte, hatte er glücklich die Geschichte Kachetiens von der Gefangennahme Agsartans II. bis zum Sturz des unglücklichen Tajmuras I. durchstudiert. Wie es in der Liebesmär zu geschehen pflegt, wurde das unglückliche Wundertier bestohlen, indes es das Kleinod zu bewachen glaubte.
Als sie sich rührte, fuhr er herum und näherte sich der Frau.
»Du hast im Schlaf ausgeschlagen, Jenny, als wärst du gejagt worden«, sagte Mr. Pickering, indem er sich aufs reichverzierte Bettende stützte. »Ich war zweimal bei dir.«
Die Worte entsetzten sie.
»Ein schlechter Traum«, versicherte sie hastig und zog die Bettdecke bis ans Kinn. »Warum hast du mich nicht geweckt, Doc?«
»Als ich da war, hast du schon wieder gelächelt … Ich dachte, es wäre vorbei. Wer hat dich denn so gejagt, Liebling?«
In seiner Stimme lag nur nachsichtiges Entgegenkommen, das jedoch dem ertappten Frevler immer wie ein schlauer Trick vorkommt. Da Evgenia Ivanovnas Schuld keineswegs zu rechtfertigen war, wehrte sie sich mit der erstbesten Lüge, die ihr auf die Zunge kam. Es bedurfte nicht einmal sonderlicher Verstellung, denn sie dachte in jüngster Zeit in der Tat oft an den Tod ihrer Mutter, den sie in ursächliche Verbindung brachte mit zwei silbernen Teeuntersätzen und Vaters goldener Uhr, einem Präsent seiner Kollegen, alles gegen Recht und Gesetz im Gemüsebeet eingebuddelt. Um der besseren Glaubwürdigkeit willen begann sie ihre Geschichte mit dem denkwürdigen Tag, wo einer der ephemeren Mächtigen jener Zeit ihr halbes Grundstück nach den unseligen Schätzen aufwühlte.
«Dabei waren Mutters Tomaten noch gar nicht geerntet.«
»Bemühe dich nicht, Jenny, Träume sind wie verbranntes Papier. Sie zerfallen, wenn man an sie rührt.«
Vor Angst, sich sein Vertrauen verscherzt zu haben, versuchte sie ihn linkisch an sich zu ziehen, um seinen stillen Verdacht zu zerstreuen. Sacht löste der Engländer die Hände von seinem Hals. Da wußte sie, er wollte über die Untreue hinwegsehen, die im Grund gar keine war, dennoch reizte ihn der Bodensatz von Zärtlichkeiten kaum. Vor Verzweiflung, sie könnte im Schlaf den Namen des andern genannt haben, brach sie in Schluchzen aus. Reue faßte die Frau, warf sie in die Kissen. Ein Glas Wasser in der einen Hand und mit den Fingern der andern eine aufgenommene Rose zerkrümelnd, wartete der Engländer, daß der Anfall vorüberginge. Das Hemd rutschte ihr von der Schulter, kindliche Tränen rollten auf die bloße Brust. Nichts hätte ihn besser von der Unschuld seiner Frau überzeugen können als diese kleine Unverschämtheit.
Nachdem sie sich etwas ausgeschluchzt hatte, hielt es Mr. Pickering für denkbar, in den abgeklungenen Sturm hineinzurufen.
»Reg dich nicht auf, Jenny, vertrau mir doch, quäl dich nicht. Ich bin dein guter Freund … Trink wenigstens einen Schluck Wasser«, meinte er und legte seine heilende Hand auf die noch zuckende Schulter.
»Was immer geschieht, mag es das Schlimmste sein, ich habe Verständnis dafür … beruhige dich, so, ja. Übrigens, merkst du, es riecht so herrlich nach Küchendunst! Ich kann mir keinen anderen Geruch denken, der so eindrucksvoll von irdischem Glück spräche. Nicht zufällig haben die alten Juden nach der glücklichen Landung der Arche Noah ihren Gott in Gestalt zweier Nüstern konterfeit, die Opferdämpfe schnüffeln. Ich
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