Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonid Leonow
Vom Netzwerk:
an den Türrahmen.
    »Stirb nicht gleich, Kavalier, Kopf hoch, Kopf hoch«, rief ihm Chachulja gönnerhaft und durchaus jovial zu. »So'n alter Haudegen, und sieht aus wie'n malades Weib! Wollen sich die verehrten Gäste die Ware bitte von der Vorderseite ansehen.« In seinem Ton lag nichts Ehrenrühriges, nur Witz und Nachsicht gegen einen Gestrauchelten. Ja, und Stratonows Haltung drückte Bereitwilligkeit aus, Vertrauen zu rechtfertigen. Es fehlte die Zustimmung Evgenia Ivanovnas, sie nickte. Peinliche Vertraulichkeiten hatte sie von ihrem vormaligen Mann nicht zu fürchten: geschlagen und gezeichnet, lag er zu sehr am Boden, um sich mit einem einflußreichen Freund des schon halbwegs gefestigten Sowjetstaates zu verzanken. Überdies bot die Reise eine günstige Gelegenheit, Stratonow den Ring zurückzugeben, welchen sie in unerklärlicher Vorahnung für diese Begegnung aufbewahrt hatte. Anderntags ging es weiter … Nein, triftige Gründe sprachen nicht dafür, Stratonows Dienste abzulehnen. Nach einem Kompliment wegen ihrer Sprachkenntnisse, sichtlich um ihr Verhältnis bei der bevorstehenden Fahrt zu klären, fragte Stratonow auf französisch, ob die gnädige Frau schon in Rußland gewesen sei. Da machte Evgenia Ivanovna vom Recht der Ausländerin Gebrauch, die etwas vielen indiskreten Fragen dieses Landes mit Schweigen zu quittieren.
    Auf der Fahrt nach Kachetien hatte sich Stratonow weiterhin des Französischen bedient, wohl damit der Engländer keinen Verdacht schöpfte. Die französische Anrede nunmehr, unter vier Augen mit ihr im nächtlichen Park von Zinandali, ließ sich freilich nur mit dem heißen Wunsch erklären, die alten Geschichten für immer ruhen zu lassen. Er bat sichtlich um Gnade … Auf einmal verstummte hinter ihr das Krachen der Zerstörung, das die Alasan-Nacht erschütterte. Offenbar hatte der Fahrer die traktierte Tür glücklich eingeschlagen. Jemand kam ihr entgegen ein Windlicht schwankte in einer Hand, abwechselnd leuchteten zwei Füße hervor in dicken chewsurischen Wollsocken.
    »Wir können ins Haus. Der Mann hat alle wachgetrommelt. Wollen Sie mir bitte Ihren Arm reichen, Mrs. Pickering?«
    Stratonows aus der Entfernung klingende Stimme hatte sich deutlich genähert. Der Guide meinte wohl, im Dunkeln und ohne Zeugen werde sich alles regeln. Indessen änderte Evgenia Ivanovna ihre ursprüngliche Absicht, kaum nur in der Befürchtung, im Finstern danebenzuhauen. Zudem, um Mitternacht herrschte im Alasan-Tal eine so atemlose Stille, daß selbst die geheimsten Gedanken augenblicklich vernehmbar wurden.
     
    Nachts gab es Aufregung. Der Engländer brauchte heiße Wickel, kochendes Wasser ließ sich nirgends beschaffen. Das Dasein der neuen Welt war hart und bar allen Luxus. Im Wandschaff fanden sich ein Fläschchen eingetrockneter Dänischer Königstropfen und von ebensolcher Monarchenprovenienz versteinerte Pülverchen, herstammend noch von den vormaligen Zinandali-Eigentümern. Man ließ es damit bewenden, schmerzlindernde Mittel einzureiben, was die halbe Nacht dauerte. Die Anfälle gingen so plötzlich vorüber, wie sie kamen, ohne Nachwirkungen.
    Evgenia Ivanovna erwachte am hellen Tag. Mit schlaftrunkenem Blick umflog sie die himbeerrot ausgeschlagenen Wände, die sie nachts beim Kerzenlicht nur flüchtig wahrgenommen hatte. Das Schlafzimmer glich dem verwahrlosten Thronsaal eines kleinen Potentaten. Aber das frische grüne Lüftchen, das von der Terrasse, vom Park her in den schwülen Dämmer hereinschlug, wog alles auf. An der offenen Tür saß im Hausrock, einen Band des Oxforder Lexikons vor der Nase, der genesene Gatte, diesen Morgen besonders lang wirkend und, wie dem schlaftrunkenen Auge schien, ein Bein ums andre geschlungen.
    Die Frau rekelte sich im seligen Gefühl, daß die Drangsal der Jugend vorbei und des Alters Bitternis noch fern sei. Sie fühlte sich wie neugeboren in diesem ausladenden quadratischen Bett, mit Stufen und Baldachin, geschaffen für die Ausschweifungen eines unbekannten Regenten. Evgenia Ivanovnas Leben hatte kaum begonnen, vor ihr lag unvertan die Ewigkeit. In ihrem Körper flutete süße Benommenheit; voll Wonne streifte sie über ihre Atlashaut. Wohlig schloß sie die Lider und amüsierte sich, wie ihr Mann im spitzbogigen Lichtkeil zerfloß. Plötzlich kam es ihr vor, als liege einen Stock tiefer, gerade unter ihr, Stratonow auf der Couch, eine Zigarette zwischen den Lippen, und fixiere sie, die nackt war, frech durch Zimmerdecke, Teppich,

Weitere Kostenlose Bücher