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Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonid Leonow
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Brennstoffs, gleichsam eines Bündels Reisig bei für die große Umschmelzung einer morbiden Welt. Desungeachtet hatte der Sowjetkorrespondent daraufhin nichts Eiligeres zu tun, als den Archäologen dem noch keineswegs zahlreichen Aktiv gewichtiger Freunde der Oktoberrevolution zuzurechnen.
    So ist erklärlich, daß die sowjetischen Visa fast umgehend erteilt wurden samt der in damaliger Intouristpraxis einmaligen Genehmigung, über den Kaukasus einzureisen.
    In stummer Dankbarkeit legte Shenja Mr. Pickering die Hände auf die Schulter – wie liebte er ihre ein wenig großen sensiblen Hände! »Du kommst mir wie ein kluger mächtiger Kalif aus Tausendundeiner Nacht vor, Doc«, sagte sie dann.
    »Ich verspreche dir, zu Semesteranfang bist du pünktlich zurück. Wir fahren gleich durch … bis zu einem armseligen Nest hinter Rostow: da bummeln wir nur eine Stunde, bis der Zug zurückgeht … Selbst wenn sich dort für dich unberührte Skythengräber finden sollten … Sei nicht böse, Liebster, ich bin halt aus dieser Erde gemacht.«
    Im Grunde reiste Evgenia Ivanovna nach Rußland, um sich einen Freibrief für die Fremde zu holen; es sollte sie, die nunmehr hoffnungslose Emigrantin, ziehenlassen und mit seinem nächtlichen Rufen aufhören. Natürlich, lieber wäre sie im Sommer gefahren, um noch einmal tüchtig, zu Erinnerung, im Steppengewitter durchzuweichen … Gewiß wäre es auch nicht übel gewesen, sich am Saum eines Winterwaldes mal einfach satt zu frieren und in die schneegefilterte Stille hineinzuhorchen. Nicht minder reizte sie das Steppenfrühjahr – niederzuhocken zu Ostern am elterlichen Grab, bunt von Eierschalen, und mit Mutter zu schwatzen unter quälendtröstlichen Krähenschreien. Da ihr Glück nun in den Herbst fiel, war Evgenia Ivanovna gewillt, die vorgesehene Stunde auf der alten Akazienallee entlang zu bummeln und dem trockenen, tönenden Mulm unter den Schritten zu lauschen … Der Weg würde an Mutters Häuschen vorbeiführen, und man könnte einen Blick hineintun, ob Tresorka, der Hund, noch lebte, ob die Kuckucksuhr noch ging und wer im Flur schlief auf der Truhe hinterm Wandschirm.
    Entgegen allen strengen Bräuchen konnten die prominenten Gäste auf fast direktem Weg von Kars über den Sakal-Tutan-Paß einreisen. Man fuhr rasch, um die Grenze noch bei Tage zu passieren. Zu Abend schlug das Wetter um. Wolken zogen zur Türkei hin. An einem Bergsee, vom einsetzenden Regen aufgekräuselt, stiegen die Reisenden in einen offenen Wagen um, dem man ansah, daß er sich in seinem Leben weidlich geplagt hatte. Auf einem Ödplatz in Karsacha fußballerten Dreikäsehochs barfuß mit einem zerbeulten Teetopf, doch alle Laute schluckte die trotz Regen gnädige, rosige Abendstille. Die in der letzten Stunde abgefallene Evgenia Ivanovna preßte den neuen Paß in der Handtasche, der sie in ihrem Lande vor unliebsamen Überraschungen schützen sollte. Statt erwarteter Kontrolle und lästiger Formalitäten gab es einen Blumenstrauß, den ein Bibliothekar oder auch Agronom der berühmten Ausländerin überreichte. Sie stand allein unter ihrem Schirm, die andern hatten keinen, und jedermann schaute sie so gewichtig an, ohne daß sie wußte warum. Ein Redner beglückwünschte den großen Architekten zu seinem Beitrag für die Welt von morgen. Der Irrtum beruhte auf einem Fehler im Telegramm und erwirkte die belustigte Annäherung der Parteien. Mit Zeichen der Aufmerksamkeit begleitete man die Reisenden bis Tiflis, es gab erlesene Getränke, sich unter Speisen biegende Tische, Teppiche bei der Übernachtung in Achalzicha und allerhand geistige Genüsse. Daselbst wurde den Reisenden, trotz der späten Stunde ihres Eintreffens, ein Elefant mit seinem Dompteur Kornilow vorgeführt und ein erster, auch halbwegs geglückter Versuch unternommen, den Engländer unter den Tisch zu trinken, indem man erhabene Toaste ausbrachte. Alles klappte aufs beste, niemand tat sich falschen Zwang an, selbst der vermißte Wäschekoffer fand sich, wie in geordneten Staatswesen üblich, alsbald wieder an, dazu mit einem Gegenstand, der dem Ehepaar Pickering gar nicht gehörte. Unterwegs nahm Evgenia Ivanovna gierig in sich auf, was da lautete und blaute – die kahlen Ödhänge des Grenzgebirges, die märchenschöne Burg zu Hertipisi, die grenzenlosen Nadelwälder hinter Borshomi, die hallenden Schluchten mit Gießbächen, die über die Straßen stürzten, und sodann, hinterm folgenden Paß, fern, im Herbstdunst ein wenig

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