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Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonid Leonow
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gut getafelt hast. Was gab's, Doc? Was Gutes?«
    »Etwas aus biblischer Küche mit geharnischter Füllung, jedenfalls werde ich lange daran denken. Bis morgen bin ich wohl ziemlich feuergefährlich.«
    »Wenn das wie unsere sibirischen Pelmeni aussah, nur größer und rund, war es Chinkali. Wer das Gericht nicht gewohnt ist, den wirft es glatt um«, flocht Stratonow von der Seite her ein, aber die Eheleute Pickering überhörten seine Bemerkung geflissentlich.
    »Höchst merkwürdig, Jenny«, fuhr Pickering halb scherzend, familiär murmelnd fort. »Wir, die Wissenschaft , versuchen vergangene Zeiten zu erforschen und lassen dabei die gastronomische Seite außer acht. Sie könnte doch wertvolle Aufschlüsse liefern über Geschmacksentwicklung, auswärtige Einflüsse, Ernährungsareale und schließlich … Also, was hat der Wüterich Schah Abbas in Georgien noch für Unheil gestiftet?« spiegelte er, über seine Frau, dem Guide gönnerhaft eine Frage zu.
     
    Kinderplärren lockte Evgenia Ivanovna ins Seitenschiff des Doms. Dort fand eine Taufe statt. Ein ehrwürdiger Greis, den Fresken entstiegen, in kalkweißem abgetragenem Priesterornat, murmelte das Gebet herunter, und statt der Kirchendiener sang dumpf der byzantinische Bogenschütze mit. Die zahlreiche Bergländersippe umstand das Taufbecken mit den fließenden Kerzen rundum. Im Luftzug tanzten die Flammen und entrissen dem schwankenden Dunkel bald ein zerschründetes Altfrauenprofil, halbiert vom schwarzen Kopftuch, bald die Stoppelbacke eines Hirten über verschossenem Wams oder einen malerischen Patriarchenkopf, das Kinn auf den Tscherkessenrock geneigt. Melancholisch, wie durch das dicke Glas der Jahrhunderte, schauten alle auf ihren brüllenden Nachfahren. Zwei andere Familien harrten in andrer dringlicher Mission auf den Altarstufen, angeführt von kaum weniger greisen Oberhäuptern. Schon war Evgenia Ivanovna der zwingenden beruhigenden Magie des Vorgangs erlegen, da trieb würgende Übelkeit sie ins Freie hinaus. Ringsum war niemand, nicht einmal Bettler, nur Sterne, die letzten. Nachdem sie die nachtfeuchte Luft geatmet hatte, war es vorüber, dennoch glaubte sie in ihrem Körper etwas Neues wahrzunehmen, und mechanisch, wie prüfend hob sie die Brust an. Offenbar wirkten die Strapazen der monatelangen Reise nach, das fette Essen, die Stickluft im Dom, von Weihrauch, qualmendem Wachs, ja von den Kinderwindeln; desgleichen war der Anblick der halbabgewürgten Hühner, dieses Bauernentgelts für den Taufakt, die der Diakon an den Beinen in den Altar trug, nicht der schönste gewesen.
    Unterdessen hatten die Dunstschleier das Bergpanorama gänzlich eingehüllt, nur über dem Alawerdyer Feuermeer lag helle Mondnacht. Der Widerschein unzähliger Flammen fächelte das niedrige Gewölk, das Wetter wurde schlecht. Alle Laute dieser Nacht, Festtagsgetöse, Schafblöken, selbst das Tönen der Mücke, die von weither geflogen kam nach ihrem Anteil am großen Schmausen, waren hier, auf den Kirchenstufen, in eins verwoben – ein taubstummer Riese schnurrte vor irdischem, grenzenlos leiblichem Wohlbehagen. Von nahem dröhnte, wie der Schlag eines Herzens, dumpf ein Tamburin, hierzulande Daira geheißen, und in seinen gemessenen Rhythmus wehte von irgendwoher und so urwunderlich die geheimnisvolle Melodie einer Tari , begleitet von bald sich verschlingenden, bald auseinanderfallenden Stimmen. Schritt für Schritt, ohne die Gefährten, strebte Evgenia Ivanovna den Anfechtungen der Alasan-Nacht zu, die sich drunten in Schwaden von verbranntem Fett und schwelenden Ästen wälzte. Das Scheibenrad eines Lastkarrens rumpelte vorüber; hinterdrein zog ein forsches Kerlchen im Tscherkessenrock mit Patronentaschen und einem Dolch, lang genug, das Herz eines Mammuts zu treffen; zum Spiel der gedungenen Musikanten schwang er die geflügelten Ärmel empor, als wollte er den gesamten Kaukasus zum Tanz bitten, wirbelte in die auseinanderflutende Menge hinein und war von der Nacht verschlungen. Ein riesiger Tschetschene, mit einem Filzhut auf dem Schädel, trottete mit geschultertem Hammel so dicht an Evgenia Ivanovna vorbei, daß vom Widderhorn ein schwerer Tropfen auf ihren weißen Schuh fiel … Da erst holten sie die Männer ein.
    Nicht ohne Mühe fanden sie den Parkplatz wieder unterm Maulbeerbaum. Mit der Miene von Opferpriestern mühten sich die beiden Telianer um den Schaschlyk. Dem Haufen verkohlten Holzes entquollen fette erregende Düfte. Perlmuttern flackerte der

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