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Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonid Leonow
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und hinten, unterm Teppichdach, funkelten die Schwarzaugen der zahlreichen Nachkommenschaft. Alle Welt war zum Jahrmarkt unterwegs; zu Hause blieben die Hunde. Die Ballonhupe hatte sich längst heiser gehupt; händefuchtelnd schnauzte sich der Fahrer freie Bahn.
    Wenn nicht alles trog, waren die Schneegrate bis auf Schußweite herangerückt. Der Abend graute … im verblassenden Blau waren die einzelnen Bergstufen um so besser zu unterscheiden, gekleidet in Wald, in den grünen Filz der Almen, in ein rosiges Wölkchen, in leuchtendes Nichts. Die Phantasie streute jeweils Mönche, Hirten, Adler und Engel darüber. Alsbald verschwand die Vision hinter Hügeln, wie mit Kamelhaar bedeckt, die sich zur Linken heranschoben. Die Gespräche verstummten. Der Abend flog dem Wagen entgegen. Zu seiten des Weges hingen nebelunterspülte Zypressen. Die abgekühlte Luft roch nach verbranntem Kuhmist, und der todgeweihte Hammel wurde begreiflicherweise unruhig. Der magere Telianer, vorgebeugt, streichelte ihn, als wollte er ihn zur Weisheit mahnen. Plötzlich schwenkte hinter einem Olivenhain die Alawerdyer Kirche hervor, ein formenstrenger Kubus mit im Abendrot glühendem Pyramidendach.
    Durchgerüttelt und schweigend stiegen sie aus auf einem niedergetretenen Maisfeld. Irgendwo in der Nähe, im Halbdunkel, lärmte der Jahrmarkt, es war, als sei ein Haufen Krieger im Anmarsch. Die Luft war staubdurchweht. Stratonow zog das Taschentuch, um sich das Gesicht zu wischen, dabei fiel etwas orangen auffunkelnd zu Boden. Obwohl er rasch den Fuß darauf setzte, erkannte Evgenia Ivanovna ihre Lippenstifthülse, die sie im Zinandali-Park ins Gras geworfen hatte. Ein banger lauernder Übermut faßte sie in allen Fibern.
    »Liebt diese Erde, unsere freigebige Mutter Erde. Kachetien ist Euer, es lebe in Ewigkeit!« verkündete der Dicke, küßte seine Finger und berührte damit andächtig den flüchtigen Staub zu seinen Füßen.
    Während die Teppiche um einen kahlgerupften Maulbeerbaum herumgebreitet wurden und der Chauffeur eifrig den Dickwanst von Hammel ausweidete, bat Stratonow still zu einer Kirchenbesichtigung. Der Engländer willigte wohl bloß ein seiner Frau zuliebe. Es war gar nicht einfach, in dieser flutenden Eintagsstadt vorwärts zu kommen, die vorigen Morgen aus nichts entstanden und nächsten Abend wieder zerfallen war. Gleich hinter dem Hohlweg wurden die Reisenden in den wogenden Menschenstrom hineingerissen und wie buntes bizarres Geröll mitgespült, vorbei an unbespannten Fuhrwerken und zahllosen Buden. Wohin man schaute, brodelten allerhand Leckerbissen, prunkend wie ihre grusinischen Namen, in Kesseln und Pfannen oder verströmten lustig brutzelnd und auf Ladestöcke gespießt, verführerische Dünste – nicht übler als auf Pickerings Märkten zu Ninive. Die Stapel noch ofenwarmer, knuspriger Brotfladen, bis unter die Zeltdächer geschichtet, lockten den Engländer an, ja, und das alles umlagert von den hiesigen Landweinen – in Krügen und in Ziegen- und Büffellederschläuchen, zehn Pud schwer, und in schiefen Ballonflaschen aus blasigem, altem Glas und auch in Bechern, randvoll, zum Zugreifen. Immer häufiger blieb Mr. Pickering, gleichsam zu Studienzwecken, an einer Bude stehen, und Stratonow, dem seine Neigung für volkstümliche Leckereien nicht entging, tat alles, um ihn vollends abzuschütteln. Dann, als er sich hinterm Jahrmarkt verstohlen umsah, war er sicher, es geschafft zu haben.
    Der Trubel hatte seinen Höhepunkt erreicht. An den Ufern des Menschenstroms türmten sich haufenweis die Herrlichkeiten, die das Bergvölkchen lockten. Moskauer Kattune in schreienden Farben, nach Javellescher Lauge oder nordrussischem Heu riechend, wechselten mit kachetischen Matten und Filzkapes; Hausgerät aller Art, angefangen von verzinkten Kasserollen, Rauminhalt ein halber Hammel, bis zu den Wandteppichen für die Lehmhütte, prangte neben steinhartem knalligbuntem Zuckerwerk, an dem sich junge Zähne üben konnten. Die klobigen Hände zwischen den Knien, hockten im Schneidersitz die Telawer Töpfer hinter ihren Erzeugnissen – unter allerhand Kindertand und dreitönigen Flöten fielen die schlankhalsigen Hunderteimerkrüge auf, welche mit Wein gefüllt auf Vorrat im Hof eingegraben wurden. Daneben bewachten, ins Gras gestreckt, die Sattler von Signachi ihre hoffärtigen Meisterwerke: schnittige Sättel mit geschweiften Bogen, Beschirrungen mit Phönizierschnallen von Lesginer Hand, Kubatschiner Zügel und Gürtel,

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