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Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonid Leonow
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Handtellergröße darstellbar gewesen. Die Formel dazu mag heute noch gewaltig sein … je mehr sich jedoch menschlicher Geist ansammelt, desto rascher schrumpft sie zu einer Verszeile, einer Hieroglyphe, schließlich zu einem magischen Zeichen, mit dem ja dereinst der Schöpfungsakt begann. Sache des Künstlers ist es, Vorgänge auf die Dimensionen eines Samenkorns zu bringen, das, in eine lebendige menschliche Seele geworfen, zu jenem Wunder aufblüht, das ihn seit je begeisterte … And that's all! Woraus du zu Recht folgern darfst, Jenny, daß ich hoffnungslos betrunken bin. Doch egal, egal, ich fühle mich wie Gott am sechsten Schöpfungstag.«
    Er sprach mehr und aufgeregter als sonst, vielleicht nur, um die Frau bei sich zu halten. Energisch löste sie ihre gepreßte Hand aus der seinen: Mit etwas steifen Worten sagte sie dem Mann, man müsse bald weiterfahren, und sie wolle noch rasch einen Rundgang machen, bevor dieser herrliche Hexensabbat mit der Nacht verwehe.
    »Komm, Doc … Ich häng dir nur den Mantel um.« Der Engländer sah in ihre Augen, noch ehe die Wimpern darüberfielen. Nunmehr wußten alle drei, daß der unvermeidliche Augenblick gekommen war. Die klägliche Figur jenseits des Feuers steckte sich rasch wie in einer Vorahnung, an einem verkohlten Span seine Pfeife an.
    »O Jenny«, Pickering lächelte tapfer, »ich mausere mich zu einer Gottheit und habe einen Grenzzustand erreicht: Die Beine, für einen Himmelsbewohner überflüssig, wurden mir abgenommen, und Flügel sind mir noch nicht gewachsen. Vielleicht ist Herr Stratonow so freundlich, dich auf diesem Spaziergang zu begleiten.«
    Stratonow hörte seinen Namen, stellte das überschwappende Glas Wein hin und suchte seinen Hut, als käme er ohne den nicht aus bei seinem Dienst. Der Hut fand sich, der Chauffeur saß drauf. Zwei Frauenabsätze gingen über den Teppich, die vollen Weingläser schwankten. Da brachte ein Telianer einen Trinkspruch aus, der anzüglich und prophetisch klang: »Möge dieser Wein die Lebensflamme höher schlagen lassen und sie löschen, ehe die Enttäuschung losschwalcht.« Nachdem die Frau gegangen war, starrte der Engländer lange auf die dunkle Flüssigkeit im Glas, als habe er vergessen, wozu sie da war.
    Der Fahrer rief den Blinden ein paar Worte zu, und die verschwanden gehorsam im Morgennebel, der vom Fluß her wallte.
     
    Die Alasan-Nacht ging zu Ende, das Fest hatte sich in die wenigen Hauptstraßen zurückgezogen. Am aufhellenden Himmel schwärmten erste Vögel. Zwischen den sich lichtenden Budenreihen erhob sich Alltagslärm, hämmerte es, gellten ärgerliche Stimmen, quietschten davonrollende Räder. Der Jahrmarkt begab sich auf die Reise. Zuweilen sah man am Feuer Gestalten liegen, im Rausch oder Schlaf, und Morgenwind fegte hie und da Papier und Heu von den verlassenen Ständen.
    Evgenia Ivanovna verlangsamte den Schritt, der immerfort nachbleibende Stratonow sollte herankommen, aber der Abstand zwischen ihnen verringerte sich nicht. Sie tat, als hörte sie mehreren Händlern zu, die lauthals den gemeinsamen Gewinn teilten. Stratonow mußte wohl oder übel neben ihr stehenbleiben. Eine selbstgemachte Fackel in einer Konservendose beleuchtete die Szene. Glutrot zeichnete sich das Profil der Frau, und so markierte sich dieser erschreckend neue Zug in ihrem Gesicht, dieser eigensinnige, fast böse Spott, wobei die Lippen hilflos wie sonst waren, nur geschwollen, vielleicht zerbissen.
    »Es wird schon Tag, jetzt verläuft man sich nicht mehr«, sagte sie hastig, denn noch glühte da diese wahnwitzige Neugier unter der Asche des Widerwillens und der Gleichgültigkeit. »Ich kann durchaus allein gehen. Sie sollten lieber Mr. Pickering Gesellschaft leisten, er beherrscht die Sprache nicht allzu gut.«
    »Mangel an Sprachkenntnissen will bei reichen Leuten nichts besagen. Mammon ist der beste Dolmetscher.«
    Evgenia Ivanovna warf ihrem Begleiter einen schrägen Blick zu: der biß ja zurück, lange bevor sie angriff.
    »Ich glaube, Sie halten meinen Mann für einen Bankier … aber ich kann Ihnen Ihre Antipathie nachfühlen; Bei mir zu Hause, in einer Kleinstadt, sind mitunter wegen einem Samowar beim Nachbarn oder einem Fuchspelz Klassengegensätze aufgebrochen. Nur irren Sie sich, Mr. Pickering ist nicht reich. Er ist bloß Gelehrter, und das weiß man, soweit ich beobachtet habe, sogar in Mesopotamien. Übrigens, kam sein letztes Buch in Ihrem Land noch nicht heraus?«
    Also hatte sie die einsame Zeit in

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