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Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonid Leonow
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weiß noch, ich kam aus einem Petersburger Lazarett zu den Feiertagen …« Sein Elend trieb ihn vorwärts; so warm, so lebendig schilderte er, wie sie sich zum erstenmal auf dem Gymnasiastenball begegneten, daß Evgenia Ivanovna unwillkürlich wieder das räuchernde Wachs und das angesengte Tannengrün roch, die süße Beklommenheit beim Geplauder mit dem Frontoffizier spürte und es ihr, dem Provinzmädchen, wieder vor den Augen flimmerte von all den Metropolengeschichten. »Übrigens hat mich schon damals auf der Lazarettpritsche fasziniert, was der Verfasser vom alten Orient wußte … vor allem diese großartige Gabe, aus reinsten Banalitäten die Vergangenheit hervorzuzaubern. Mir war, als könnte nur ein Augenzeuge, nein, Zeitgenosse! die Tage von Ninive so glänzend beobachtet, im Gedächtnis bewahrt und wiedergegeben haben, sein Urwesen, das Gewirr enger Gäßchen und überhaupt so das ganze assyrisch-babylonisch-numidische Kolorit, verteufelt! Wenn dem so ist, muß ich zugeben, sieht er noch blendend aus, Ihr Herr Gemahl, für sein ehrwürdiges Alter. Nein, wirklich, Mrs. Pickering, in Tiflis haben wir alle, von Chachulja bis zum Kaderchef, unsre helle Freude an einem so glücklichen Paar gehabt, und wenn wir unsre angekränkelte, angeknackste Generation mit diesem Repräsentanten der alten Garde verglichen, konnten wir nur kollektiv staunen, wie er sich bei solchem Alter soviel beneidenswerte Seelenglut bewahrte, nicht wahr?«
    Hingerissen von seiner fragwürdigen Eingebung, redete er dreimal soviel als hier wiedergegeben, redete fort im Gefühl seiner Armseligkeit, aus Eifersucht und ohnmächtiger Wut, da ihr ironisches, wägendes Schweigen alles wie Watte wegsog. Zu augenfällig war die Kluft jetzt zwischen ihnen, zu fadenscheinig der Grund für seine Ausfälle gegen einen Mann, den man sich als seinen Rivalen kaum zu denken wagte, als daß es Evgenia Ivanovna für nötig gefunden hätte, für den einzutreten, dessen Namen noch gar nicht gefallen war. Sie beobachtete nur immer deutlicher, wie Stratonow am ganzen Leibe zuckte vor Unruhe, Reue, Verzweiflung, und also jene Anschuldigungen bedingungslos billigte, die noch gar nicht gekommen waren. Da, wie um von seiner Schuld abzulenken, pries er gewisse auffällige Eigenarten des Engländers, eben jene, die einen Gentleman auszeichnen und die, etwas viel gelobt, rasch einen doppelsinnig-zweifelhaften Anflug bekommen. Obendrein tat er es mit jener nonchalanten Großspurigkeit, mit der erfolgreiche Liebhaber den abwesenden Hahnrei für den erlittenen Schaden zu entgelten und gleich noch die eigene diebische Freude zu erhöhen suchen … Plötzlich brach er müde ab und schwieg.
    Zu seinem Glück tönte von der Seite leiser melodischer Gesang herüber. Evgenia Ivanovna blieb stehen und hielt Stratonow mit einer Handbewegung fest. Drei ältere Georgierinnen, wohl befreundet, mit gleichem silberdurchwirktem Kopfputz, dem Tschichtakopi , gleichwohl von Aussehen ganz verschieden, hockten einander gegenüber auf einem Teppich. Während ihre bulligen, riesigen Männer leere Fässer auf einen Karren luden, sangen sie halblaut vor sich hin, wohl in Erinnerung an unwiederbringliche Tage, mitunter die Brauen emporziehend oder den Zeigefinger wiegend. Eine vierte, jüngere, in ein schwarzes Gazetuch gehüllt, spielte dazu Tschonguri .
    »Ja, worüber sprachen wir gerade, Herr Stratonow?« fragte Evgenia Ivanovna, als sie weitergingen. Dabei blickte sie zu den Frauen hinüber, als wollte sie sie fest im Gedächtnis behalten. »Sie schweigen etwas lange für Ihren Beruf. Fahren Sie fort! Nur bitte keine persönlichen Dinge mehr! Erzählen Sie mir lieber, wieviel Wein im Alasan-Tal gewonnen wird und welche Könige hier noch vergraben liegen.«
    »Wein ist kein Erdöl. Er wird nicht gewonnen, sondern erzeugt. Außerdem heißt es begraben«, korrigierte er verdrossen.
    »Oh, kritteln Sie nicht an einer armen Frau herum, deren Verschulden es wahrhaftig nicht ist, wenn sie ihre Muttersprache so lange nicht hörte«, sagte sie sehr leise.
    Da biß er die Zähne zusammen und fuhr, um die Stunde bis zur Abfahrt irgendwie zu überbrücken, in seiner Lektion fort, in der es Beiworte und Kommas von ermüdender Fülle gab. Unter anderem äußerte er den Gedanken, bei den engen Bergtälern und den riesigen Weinkellereien müßten im Kaukasus doch alle gute Freunde werden. In diesem Sinne sollte das Alasan-Tal eigentlich den schönsten Festsaal für Friedenskongresse abgeben: ersäuf

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